Full text: Kurzgefasstes Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie für Mediziner und Juristen

Zeugnis- und KEidesfähigkeit. E77 
schluss an die Verletzung deutlicher hervorgetreten war. Die Verschär- 
fung des $ 225 wird kaum je in Frage kommen. Mildernde Umstände 
für den Täter werden durch den $& 228 zugelassen. 
Beispiel 3. 
(Hysterische Halbseitenlähmung nach Einatmung übelriechender Dämpfe. 
Schuldhaftes Verhalten des Vorarbeiters behauptet. Anklage wegen 
schwerer Körperverletzung.) 
Der Arbeiter Karl L. hat in einer chemischen Fabrik im Anschlusse an das 
Einatmen nitroser Dämpfe eine hysterische Unfallserkrankung mit halbseitiger Lähmung 
und Gefühlsausfall erlitten und deshalb eine Rente zugebilligt erhalten. Nun be- 
hauptet er, er sei von dem Vorarbeiter X. absichtlich trotz seines Protestes in den 
gefährlichen Raum geschickt worden, obgleich. diesem bekannt war, dass er früher 
schon nach Einatmen solcher Gase nervöse Anfälle bekommen habe. X. habe zu 
ihm gesagt: „Sie teeren! Halb kaput oder ganz kaput ist mir ganz egal!“ Der Vor- 
arbeiter bestreitet solche Äusserung. Das Ganze sei ein Racheakt des L., der ihm 
schon lange aufsässig sei. Anklage wegen schwerer Körperverletzung. 
Die Vorgeschichte ergibt, dass L. schon seit Jahren an hysterischen Zuständen 
ähnlicher Art gelitten hat, die sich z. T. nach seinen Angaben an das Einatmen 
schlechter Luft angeschlossen hatten. Der Fabrikarzt hatte daher angeordnet, dass 
er möglichst nicht in solchen Räumen beschäftigt werden sollte. An dem betreffen- 
den Tage war gar keine erhebliche Beimischung nitroser Dämpfe in der Atmungs- 
luft vorhanden gewesen. Die üblichen Vergiftungserscheinungen sind nicht bei ihm 
beobachtet. 
Das Gutachten setzte auseinander, L. werde vollkommen von der Idee be- 
herrscht, dass der leichteste Geruch derartiger Gase seine Gesundheit schädige, und 
antworte darauf sogleich mit den bei ihm sehr leicht auslösbaren hysterischen Er- 
scheinungen. Die eigentliche Ursache seiner Erkrankung liege in seiner nervösen 
Veranlagung, das zufällige Moment der Auslösung stehe erst in zweiter Linie. In 
vorliegendem Falle habe nach den Zeugenaussagen keinerlei Gefahr für einen nor- 
malen Menschen bestanden, Es lasse sich sicherlich nicht sagen, dass der Vor- 
arbeiter X. eine Körperschädigung beabsichtigt habe, auch nicht, dass er solche auf 
Grund seiner Erfahrung voraussehen musste, so dass Fahrlässigkeit in Frage käme. 
Der Zustand des L. sei ferner durchaus nicht so schwer, wie dieser sich einbilde, 
und werde sich durch eine entsprechende Behandlung aller Voraussicht nach be- 
seitigen lassen. 
Lit. Nr. 14, 31. 
F. Zeugnis- und Eidesfähigkeit Geisteskranker. 
S 56 St. P.0.: „Unbeeidigt sind zu vernehmen: 1. Personen, 
welche zur Zeit der Vernehmung das 16. Lebensjahr noch nicht 
vollendet oder wegen mangelnder Verstandesreife oder wegen 
Verstandesschwäche von dem Wesen und der Bedeutung des Eides 
keine genügende Vorstellung haben.“ 
An sich wäre also der Geisteskranke von der Vereidigung nicht 
ausgeschlossen. Sogar die Entmündigung wegen Geisteskrankheit würde 
noch nicht die Nichtbeeidigung rechtfertigen, so lange noch eine ge- 
nügende Vorstellung von dem Wesen und der Bedeutung des Eides zu 
bestehen scheint. Hier läge zweifellos eine Gefahr, wenn der Richter 
ohne Befragen eines sachverständigen Arztes sich entscheiden wollte. 
Da
	        
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