Full text: Kurzgefasstes Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie für Mediziner und Juristen

60 Beispiel 8. 
Beklagten behauptet, dieser sei geisteskrank und auch in der fraglichen Zeit nicht 
handlungsfähig gewesen. 
Die Kammer für Handelssachen des Kgl. Landgerichts zu W. hat am 24. 5. 
10 die Klage abgewiesen mit der Begründung, dass nach dem ärztlichen Gutachten 
von Professor S. am 23, 4. 10 R. bereits in der Zeit vom 11. 9. bis 23. 10. 08 sich 
in einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Zustande krankhafter Störung 
der Geistestätigkeit befunden habe, durch welchen die freie Willensbestimmung aus- 
geschlossen gewesen sei. R. leide an degenerativem Irresein, das sich namentlich 
in Urteilsschwäche, Willensunfähigkeit und allgemeiner Geistesschwäche auf morali- 
schem und zum Teil auch &uf intellektuellem Gebiete äussere. Der Zustand sei ein 
angeborener und habe sich nicht erst in der letzten Zeit zu der jetzigen Höhe ent- 
wickelt. Es wurde im Gutachten ausdrücklich betont, dass Kranke wie R. durch 
den äusseren Anschein den Laien bisweilen sehr täuschen und durch gewisse schein- 
bare Leistungen auf intellektuellem Gebiete den falschen Anschein geistiger Gesund- 
heit erwecken können. Erst bei näherer Betrachtung und eingehender Beobachtung 
trete der krankhafte Zustand hervor. 
Gegen diesen Beschluss hat im Auftrage der Klägerin deren Ehemann Be- 
schwerde erhoben und erklärt, die Ansicht des ärztlichen Sachverständigen stehe 
vereinzelt da. Nicht nur alle Bekannten des R. sondern auch die Pfleger der Irren- 
anstalt, in welcher dieser interniert gewesen sei, hielten ihn für geistig gesund. R. 
selbst habe zugegeben, dass alles nur Schiebung von seiten seiner Grossmutter und 
seines Vormundes gewesen sei. Diese hätten ihn unter falschen Angaben in die 
Anstalt gebracht. Auch habe später ein anderer Arzt ın A. über R. das Gegenteil 
bescheinigt. Angenommen selbst, R. sei vielleicht vorübergehend in der Anstalt 
geistesgestört gewesen, so lasse sich daraus noch nicht folgern, er sei es von Geburt 
an gewesen, da er inzwischen Examina absolviert habe. Nachdem das Attest über 
die seit Geburt bestehende Geistesgestörtheit abgegeben gewesen sei, sei R. sofort 
wieder hergestellt gewesen, so dass er habe entlassen werden können. Die erfolg- 
reiche Prüfung zum einjährig-freiwilligen Militärdienste hätte am 24. 3. 06 statt- 
gefunden. 
Im Schriftsatze des klägerischen Anwalts wird noch ausgeführt, der Sach- 
verständige habe sich von R. täuschen lassen. Er führe keine Tatsachen im Gut- 
achten an, sondern stütze sich lediglich auf die Aussagen der Grossmutter des R, 
Dieser habe verschiedentlich Betrügereien verübt gehabt und, um ihn vor Bestrafung 
zu schützen, habe ihn dessen Grossmutter in die Irrenanstalt gebracht. Ein anderer 
Irrenarzt habe ihn für durchaus gesund erklärt. R. hat sich vom 24. 7. 09 bis 22. 
2. 10 in der Irrenanstalt F. befunden und ist am letzteren Tage entwichen, Durch 
ein Gutachten des Anstaltsarztes Dr. S. ist er für seine Straftaten im Jahre 1909 
für nicht verantwortlich erklärt worden, nachdem ein Strafverfahren wegen Ver- 
fehlungen im Jahre 1908 bereits eingestellt worden war. Es heisst in dem Gut- 
achten, R. zeige für seine mannigfachen Verfehlungen nicht die entfernteste Einsicht, 
sei nicht imstande, seinen abnormen Trieben zu widerstehen, und neige unter dem 
Einflusse des Alkohols zu Gewalttätigkeiten, für die er hernach nur eine unklare 
Erinnerung zu haben scheine. Er befinde sich seit Jahren in einem Zustande krank- 
haft nervöser Überreizung. 
Ferner heisst es in einer Auskunft von Professor S. an den Vorsitzenden der 
Strafkammer vom 6. 10. 09, der geistige Schwächezustand des R. bestehe schon 
seit Jahren und habe seit längerer Zeit derart zugenommen, dass er infolgedessen 
allgemein und dauernd als geisteskrank anzusehen sei. Nach Entweichen des R. 
wurde am 25. 2, 10 auf eine Anfrage des Vormundes sowie der Polizei geantwortet, 
der Zustand des Entwichenen habe sich in letzter Zeit gebessert gehabt, so dass man 
den Versuch einer Entlassung wohl befürworten könnte. 
Am 26. 3. 10 erstattete dann in A. der Bezirksarzt Dr. L. auf Grund eigener 
Beobachtung im Krankenhause ein Gutachten, in welchem er ausführte, R. leide seit 
früher Jugend an angeborenem Schwachsinn, sei erblich belastet, habe von früher Jugend 
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