Full text: Kurzgefasstes Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie für Mediziner und Juristen

Ehescheidung. .j 
zu beurteilen. Ist bereits bleibende Verblödung eingetreten oder nicht? 
Wird die Krankheit mit so geringen Defekten ausheilen, dass man prak- 
tisch von einer Genesung sprechen darf? Oder wird es wenigstens 
zu einer längeren Remission kommen, welche die Wiederkehr der 
geistigen Gemeinschaft erlaubt? Das sind alles Fragen, welche wir nach 
unseren heutigen Kenntnissen keineswegs sicher beantworten können. 
Es wird sich daher nicht vermeiden lassen, dass in diesen Punkten ver- 
schiedene Sachverständige manchmal geteilter Auffassung sind. Im 
Grunde genommen stellt hier der Gesetzgeber an die Psychiatrie über- 
triebene Anforderungen. 
Will man sich praktisch mit dem Gesetzesparagraphen abfinden 
und möglichst in jedem Falle zu einer Antwort zu gelangen suchen, 
so darf man nur eine annähernde Gewissheit anstreben. 
Die ganz seltenen Ausnahmen der Spätheilungen von hoffnungslos 
erscheinenden Fällen, wie sie vereinzelt in der Literatur niedergelegt 
sind, haben aus unserer Berücksichtigung auszuscheiden. "Trotzdem 
werden immer noch Fälle übrig bleiben, in denen wir unsere Unent- 
schiedenheit eingestehen müssen. 
Nachstehend seien einige Fingerzeige zur Lösung der heiklen Auf- 
gabe geboten: Zunächst ist‘zu betonen, dass die Ausbildung eines er- 
heblicheren organischen Blödsinns, wie er uns im Verlaufe der pro- 
gressiven Paralyse, des arteriosklerotischen Irreseins, des Greisenschwach- 
sinns, bei manchen Formen genuiner Epilepsie entgegentritt, niemals 
mehr eine wesentliche Restitution erwarten lässt. Zeitweise Schwan- 
kungen in der Stärke einzelner Symptome, Stillstände im Fortschreiten 
des Gehirnprozesses mögen wohl der Umgebung vorübergehende Besse- 
rungen vortäuschen. Allein wirkliche Heilungen sind ausgeschlossen und 
Wiederkehr der einmal verloren gegangenen geistigen Gemeinschaft 
zwischen den Ehegatten steht nicht zu erwarten. 
Ebenso pflegt die Ausbildung eines fixen Wahnsystems bei allen 
chronischen paranoiden Psychosen, mag man sie nun zur Paranoia und 
Paraphrenie oder Schizophrenie rechnen, keine Aussicht auf Heilung zu 
gewähren. Sind hier die Wahnideen gegen den Ehegatten gekehrt oder 
sind alle Interessen von der realen Welt einschliesslich Familie hinweg 
und krankhaften Einbildungen zugewandt, darf die geistige Gemeinschaft 
als dauernd aufgehoben gelten. 
Dagegen sind manische und melancholische Erkrankungen ın der 
Regel mehr flüchtiger Natur. Selbst die stärksten Erregungszustände 
können restlos wieder verschwinden, mögen sie gleich in selteneren 
Fällen über Jahr und Tag angehalten haben. Nur stärkere Häufung 
manisch-depressiver Anfälle mit kaum mehr vorhandenen freien Zwischen- 
pausen und mit bleibenden Charakterveränderungen, die gerade das 
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