Ehescheidung.
Fortbestehen der geistigen Gemeinschaft verhindern, dürfte eine Aus-
nahme bilden. Indessen sollte sich der Gutachter zu einem derartigen
Urteile lieber erst entschliessen, wenn er über eine viele Jahre umfas-
sende sehr genaue Beobachtung des betreffenden Falles verfügt. Noch
weniger kommen blosse hysterische Zustände und vorübergehende epi-
leptische Bewusstseinstrübungen ohne Ausbildung erheblicherer Demenz
in Frage.
Am unbefriedigendsten ist, wie schon oben hervorgehoben wurde,
die Stellung des Sachverständigen gegenüber allen schizophrenen Schwäche-
zuständen ohne Auftreten stärkerer Wahnbildung. Hier lassen sich
kaum allgemeine Gesichtspunkte aufstellen, sondern jeder Fall will be-
sonders betrachtet sein. Verfügt der Sachverständige nicht über sehr
grosse Erfahrung, sollte er lieber die endgültige Entscheidung ablehnen.
Im allgemeinen spricht jahrelanges affektarmes Gebahren mit deutlicher
Zerfahrenheit und automatenhafter Ausprägung immer der gleichen Tics
und Manieren für eine üble Prognose. Allein nirgends erlebt man ge-
legentliche grössere Überraschungen, als gerade bei diesen Erkrankungs-
formen. Immerhin wird man sich vor Augen halten dürfen, dass plötz-
lich einsetzende Remissionen mit geordnetem Verhalten und Interesse
für die Umgebung doch höchst selten von längerem Bestande sind. Bei
alten schizophrenen Anstaltsinsassen sieht man öfters solche unverhoffte
Besserungen auftauchen und wieder schwinden, ohne dass dadurch An-
staltsbedürftigkeit und Aufhebung der geistigen Gemeinschaft irgendwie
berührt würden. Stereotypes Drängen nach Hause, Abfassen einsichts-
loser Briefe, deren Inhalt zu den tatsächlichen Verhältnissen im schroffsten
Widerspruche steht, dürfen niemals als Zeichen von Wiederkehr nor-
malen Mitfühlens mit der Familie gedeutet werden.
- Wieder anders liegt die Sache bei den auf Alkohol- und Morphium-
sucht beruhenden psychischen Erkrankungen. Sachgemässe Behandlung
und verständnisvolle Fürsorge der Angehörigen vermögen oft das Bild
vollständig zu ändern. Weitgehende und dauernde Besserungen werden
sogar da noch erreicht, wo es sich schon um bleibenden Zerfall zu
handeln schien. Hier sind also jedenfalls zuvor Entmündigung und An-
staltseinweisung zu versuchen, ehe zur Scheidung geschritten werden
sollte. Ungefähr das gleiche hat von allen anderen Irrsinnsformen
zu gelten, welche noch durchgreifender Behandlung zugänglich er-
scheinen.
. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass hier noch weniger als bei
Fragen nach Zurechnungsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit mit der Fest-
stellung der medizinischen Diagnose für den Sachverständigen die Haupt-
aufgabe getan ist. Im Gegenteil hebt dann erst der schwierigere Teil
des Gutachtens an. Aus Diagnose und Prognose lassen sich niemals
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