1 Beispiel zur Ehescheidung.
ruhigt hatte. Schliesslich duldete sie aus Eifersucht keine Bedienung mehr im Hause,
weckte nachts den Mann wiederholt, um ihn zu kontrollieren, so dass er überhaupt
nicht mehr zum Schlafen kam.
Eigene Beobachtung.
Den ersten Vorbesuch machte ich in Begleitung des Sohnes Karl. Die Be-
klagte empfing uns freundlich, erzählte sogleich von der Schlechtigkeit des Mannes,
redete sich schnell in Aufregung hinein. Er habe ihr seine Treulosigkeit eingestanden,
er sei in seine Schwiegermutter verliebt und lasse sich von der verhetzen. Sie könne
und wolle nicht mehr mit ihm zusammenleben. Er habe sie vergiften wollen. Die
Kinder behandle er auch nicht richtig; sie sähen immer so schlecht aus. Die körper-
liche Untersuchung ergab:
50jährige Frau von mittlerer Ernährung, Sehlöcher untermittelweit, nicht ganz
rund, starr auf Lichteinfall, verengern sich bei Einwärtssehen. Sprache nicht gestört.
Kniescheibenreflexe fehlen. Gang unsicher. Schwanken bei Stehen mit geschlossenen
Augen und Füssen. Schmerzempfindung am Oberschenkel gesteigert, am Unter-
schenkel herabgesetzt. Sie klagt über reissende Schmerzen in den Beinen seit
mehreren Jahren, hält sich aber nur für leicht nervenleidend.
Bei den weiteren Unterhaltungen zeigte die Beklagte nie das geringste Interesse
oder Anhänglichkeitsgefühl für den Gatten. Seine Erwähnung rief nur Zornausbrüche
hervor. Ihre masslosen Beschuldigungen hielt sie alle aufrecht. Sie zeigte sich voll-
kommen beherrscht von dem Gedanken, dass ihr Ehemann ein gewissenloser Schurke
sei, der vor den schlimmsten Verbrechen nicht zurückschrecke. Alle Einwände
prallten von ihr ab.
Gutachten.
Die Beklagte bietet zurzeit die Erscheinungen eines Rückenmarksleidens (Tabes
dorsalis), das sich bereits vor einer Reihe von Jahren entwickelt haben dürfte. Dieses
Leiden kann sich erfahrungsgemäss im Laufe der Zeit mit einer Gehirnerkrankung
(Dementia paralytica) verbinden, doch fehlen hier für eine solche Annahme einstweilen
noch sichere Anhaltspunkte. Dagegen kann gar kein Zweifel bestehen, dass sich
bei der Beklagten das Bild der Verrücktheit (Paranoia) eingestellt hat, indem sich
ein fixiertes Wahnsystem der Verfolgung bei ihr nachweisen lässt.
Diese Geisteskrankheit besteht nach den Zeugenaussagen zweifellos schon
länger als 3 Jahre, hat vielleicht mit wahnhafter Umbildung der durch das Nerven-
leiden bedingten abnormen Sensationen begonnen und zu der unerschütterlichen Über-
zeugung geführt, dass ihr Ehemann Unsittlichkeiten treibt und ihr nach dem Leben
trachtet.
Die Frage, ob eine Eifersucht begründet ist oder nicht, lässt sich ärztlich nie ent-
scheiden. Auch die Stärke einer eifersüchtigen Erregung dürfte noch nicht als Beweis
krankhafter Entstehung gelten. Allein die ganze Art des Gedankenganges, die Un-
geheuerlichkeit der Beschuldigungen, für welche sich die Beklagte überhaupt nicht
Beweise beizubringen bemüht, zeigen in chavakteristischer Weise, dass es sich hier
um Wahnideen handelt. Für die Beklagte sind ihre Einfälle und Vermutungen sofort
Tatsachen, von denen sie sich nicht mehr abbringen lässt. Sie hat jedes Gefühl dafür
verloren, wie es auf die Kinder wirken muss, wenn sie vor ihnen in derartigen Aus-
drücken über den Vater spricht. Von ihrem krankhaften Hass wird sie zu den ge-
meinsten Beschuldigungen und Angriffen fortgerissen, zu Verleumdungen gegenüber
dritten Personen; sie schickt das Essen zur Untersuchung in die Apotheke, schikaniert
den Mann in der zwecklosesten Weise, vernachlässigt, um ihm zu schaden, den
Haushalt.
Nach dem Inhalt der Wahnvorstellungen kann es auch keinem Zweifel unter-
liegen, dass durch die bestehende Geisteskrankheit die geistige Gemeinschaft zwischen
den Eheleuten aufgehoben wird. Die Frau hat sich in eine hässerfüllte Feindin dem
Manne gegenüber infolge ihrer krankhaften Gedankengänge verwandelt, die jedes
Zusammenleben mit ihm verabscheut und zur Unmöglichkeit macht. Von einer
Übereinstimmung der Interessen ist da keine Rede mehr.
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