Full text: Kurzgefasstes Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie für Mediziner und Juristen

Heredität. 51 
lichkeit einer erblichen Belastung zu rechnen; dann kommen die Ein- 
wirkungen der verschiedenen Lebensabschnitte und bei Frauen des Fort- 
pflanzungsgeschäftes in Betracht; drittens ist zu erforschen, ob Miss- 
brauch berauschender Getränke und syphilitische Ansteckung vorge- 
legen haben; endlich sind überstandene sonstige schwere Krankheiten 
und Kopfverletzungen zu beachten. 
Erst nach Klärung aller dieser Punkte der Vorgeschichte werde 
an die Bewertung der eigenen Untersuchungsergebnisse herangegangen. 
1. Heredität. 
Die Bedeutung der erblichen Belastung für die gerichtliche Psychiatrie 
ist früher von vielen Gutachtern überschätzt worden, die sich dann mit 
ihren zu weit gehenden Schlussfolgerungen dem berechtigten Spotte der 
Richter aussetzten. Feststellungen darüber, ob eine Grosstante oder 
Kousine irrsinnig gewesen war, sind ebenso wertlos, wie der Nachweis 
irgend eines beliebigen Nervenleidens bei näheren Angehörigen. Wesent- 
liche Bedeutung für die Beurteilung eines Falles erlangen höchstens 
beunruhigende Häufungen von geistigen und nervösen Störungen inner- 
halb einer Familie oder das Auftreten von Geisteskrankheit, Epilepsie, 
starker Psychopathie direkt bei Eltern und Geschwistern des zu Begut- 
achtenden. 
Öfters beobachten wir, dass in bestimmten Familien eine ausge- 
sprochene Disposition zu seelischen Erkrankungen immer derselben Form 
vorhanden ist, z.B. an Schizophrenie oder an manisch-depressivem Irre- 
sein. Leiden Eltern und Kinder an der gleichen Geisteskrankheit, spricht 
man von einer gleichartigen Vererbung. Wo derartige Verhältnisse 
in einer Familie nachweisbar sind, wird man bei sehr auffälligen Hand- 
lungen von Geschwistern eines Kranken zu dem Verdachte berechtigt 
sein, es könnte sich bei jenem vielleicht ebenfalls um beginnende Geistes- 
störung handeln. 
Überhaupt spielt bei solchen aus angeborener Veranlagung heraus 
ohne wesentliche Mitwirkung äusserer Ursachen sich entwickelnden endo- 
genen Psychosen das Moment der erblichen Belastung eine weit grössere 
Rolle, als bei allen exogenen Erkrankungen, die einer Gehirnverletzung, 
Vergiftung, Infektion usw. ihre Entstehung verdanken. Dennoch darf 
auch hier die Disposition nicht ausser acht gelassen werden. Ausge- 
sprochen vererbbar ist die Epilepsie. In manchen Familien besteht 
auffallende Neigung zu frühzeitigem Eintritt von Schlagaderverhärtung. 
Trunksucht der Eltern, die bereits vor der Geburt des betreffen- 
den Kindes bestand, ist sicherlich recht bemerkenswert, sehen wir doch 
immer wieder, dass die Nachkommenschaft von Säufern ausserordent- 
Raecke, Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie. 
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