Full text: Wie ich es sehe

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gelben Schildkrotnadeln aus den Haaren nehmen und 
die braungoldene Fülle zwischen den ausgespreizten zehn 
Fingern leise herabgleiten lassen würde und — — —!? 
Aber sie musste im Hôtel B. die Speisekarte 
studieren und dabei gerade sitzen, auf einem Sesselchen 
aus gespanntem Leder. Das ist nicht sehr amüsant. 
„Ich bin nicht hungrig 1 ', sagte sie und sah die 
langen Colonnen von Speisen gleichgiltig an. 
„Essen Sie eine Briesrose, sauce hollandaise 
sagte Er. 
„Ja“, sagte sie. 
Sie legte den Schildkrotfächer neben sich hin, den 
Operngucker und das Spitzentaschentuch. Dann zog 
sie die Handschuhe langsam aus. Ganz langsam. 
Sie rückte ihren Sessel : „Warum hast du keine 
weite gebogene Lehne, du?!“ 
Es trat jenes Stillschweigen ein, in welchem jeder 
denkt: „Ich sollte jetzt laut sagen „Massenet“, oder 
„dieses Wiener Opern-Orchester — — —“, oder „die 
Musik 
Aber er sagte: „Briesrose ist eine Krankenkost, 
leicht verdaulich, narhaft, reizlos — — —. Aber wenn 
Sie nicht hungrig sind — — —.“ 
„Nein, gar nicht“, sagte sie. 
„Sie gehören zu jenen Instrumenten“, sagte Er, 
„in welchen die angeschlagenen Töne lange nach 
klingen. Ihre Seele nimmt immer Pedale.“ 
„Ich bin müde“, sagte sie. 
„Sie denken an Winkelmann“, sagte Er. 
„Ja; so stelle ich mir die kindlichen naiven Helden 
vor, Die, die nichts überlegen, Die, die „sind“!“ 
Er sagte: „Das ist sehr richtig. Und doch ist
	        
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