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SXofeph de Maiftre
Defenfive geborene Grundhaktung gibt dem Traditionalizmus erft
fein eigentümlich reaftionäres oder beffer Teaktiv-apologetifches
Gepräge. Er ijt undenkbar ohne die Aufklärung und deren praf-
ti[He Verwirklidhung, die Revolution. Fede feiner Problent-
jtelungen ift erwachfen im GHinblid auf den Gegner.
Diefe innere Dialektik der traditionalijtijhen Doktrin Iritt noch
(härfer in Erjheinung, wenn wir nun die theoretifjhe Ausmünzung
des Dauererlebnijffes in ihren einzelnen Phafen verfolgen. Zu
diefem Zweck greifen wir den, Begriff des Volkes heraus. Denn das
Problem der Volfsperfönlichkeit it ja recht eigentlih das Zentral-
problem aller bolitifjhen Theorie. Der reine Rationalismus fteht
diefernt Begriff hilflos gegenüber. Der Abfolutijt Gobbes übertraf
[eine liberalen Nachfolger an theoretifjdher Furchtlofigkeit, wenn er
den Begriff des Volkes alz einer felbittätig gewachfenen Einheit
[eugnete. Für ihn erxijtiert nur die Malfe, eine Pluralität von
Menfdhen ohne organifches Leben, eine Vielheit ohne Einheit. Vor
diefen folgerichtigen Atomismus aber fHauderte der größte Zeil
der Aufklärer zurüd. Sie fuchten den Begriff der Nation dadurch
zu rTetten, daß fie ihre Entitehung zwar gleichfalls als bemwußten
Willensakt deuteten, nachträglich aber eine präftabilierte. Harmonie
zwijdhen dem Willen aller und dem Semeinfchaftswillen dekfretierten.
Diefer Logijhe Salto mortale vermochte jedoch die Brüchigkeit ihrer
Deduktion nicht zu verbergen. Denn die Anerkennung der Volfs-
perfönlichfeit [AHliekt die der Artverfhiedenheit der Menfjdhen ein,
bernichtet mithin das Dogma von der Gleichheit der Ynudividuen.
So pendelte die Aufflärung hilflos zwifjdhen den Begriffen der
Nation und der Menfhheit hin und her. Der Uhrwerfitaat eines
Hobbes und der Eigentümerftaat eines Lode funktionieren in allen
Weltgegenden gleich gut. Wenn Hobbes die empirijdhe Tatfacdhe der
Yluralität der Staaten oder bhefjer der GHerricher in jeine Doktrin
übernahm, fo war das eine allzır deutliche Konzefjion an die kon-
frete hiftorifche Situation feiner Zeit, al3 daß fie fich auf die Dauer
hätte aufrechterhalten Iaffen. Wenn die Menfchen allerorten und
zu allen Zeiten gleich find, ft es unerfindlidh, warum fie fidh in
Mationen gliedern. Heder Staat, der nicht die ganze MenfchHheit
umfaßt, fann daher vom Standpunkt des Rationalismus aus nur
als vorläufig empfunden werden. Dem Formalismus der Auf-
Härung, der den Staat jedes8 konkreten hiftorifhen Ynhaltes beraubt,
entagleitet der Begriff der Nation immer bon neuem.
An diefem Punkte feßte nun das traditionalijtijche Denken ein.
Anftatt von einem abitrakten MenfhHentypus auszugehen, f{tellt e8
ganz [Olidht die Tatfadhe der ECxijtenz des Volkes in den Mittel»
punkt der Betrachtung. Der Beariff des Volkes bezeidhnet nicht nur