Einführung
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eine ideelle Funktion. €3 entfpricht ihm vielmehr eine reale Wefen-
heit. Damit aber entfällt von vornherein jede Diskuffion über die
Priorität ziwvijhen dem einzelnen und der SGefjamtheit, €3 gibt in
Wirklichkeit keinen Menfdhen an fih, fondern nur den viölkijch be-
[timmten Menfdhen, Man kann daher die Nation nicht aus den
einzelnen Jndividuen ziwechaft erklären, fondern man muß um-
gefehrt den einzelnen als Glied der Volksgemeinfchaft begreifen.
Beider ECriftenz mwurzelt gleichermaßen in der Befonderheit ihres
Charakters; Beide verwirklichen einen beftimmten geiftigen Fnhalt,
find Perfönlichkeiten im genauen Sinne des Wortes, find Träger
einer dee und haben alz folche eine befondere gefhichtlidhe Miffion
zu erfüllen. Die Vererbung diefesS geiftigen Sehaltes von Se{dhlecht
auf Gefchlecht {Himeißt eine Vielheit vdon Menfdhen Dbeftinnter
Artung zur Nation zufjammen. Ein Volk ijt nicht das willfürliche
Erzeugnis eines wie immer befdhaffenen Willensaktes. Beftände
die Nation nur aus der Hijtorif[dh-zufälligen, vergänglidhen Bevölfe-
ung eineS gegebenen Zeitpunktes, fo wäre fie wejenloS. Denn es
imürde ihr die innere Stetigkfeit mangeln. Wer Könnte dafür hlirgen,
daß die Nation von morgen das gleiche will, wie die von geftern?
Ein Volk lebt nicht nur in der Gegenwart, es ft kein Gebilde des
Augenblids. €3 beruht auf der Abfolge der BHeitalter. €3 nährt
ich aus feinen Erinnerungen wie aus feinen Hoffnungen. € it
eine Einheit aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Erft die
Dauer erzeugt die überindividuelle Realität der Nation, {Hafft eine
Wefenheit, die in jeder ihrer Lebensäußerungen mehr ijt als die
Summe ihrer jeweiligen Teile,
So wird die Dauen zum eigentliden Kriterium für die ECrxiftenz
einer Gemeinfcdhaft. Leben Heißt dauern. Fürft und Bettler haben
das gleiche Beftreben, dem rinnenden Augenblic zu entfliehen, {ich
durch die Heit und im der Zeit unfterblidh zu machen, zu Üüberdauern
in ihren Kindern und Enfeln. Diefjer Unfterblicdhkeitsdrang, diefes
VBerlangernt, die hiftorijhe Zufälligfeit der individuellen Exijtenz zu
überwinden, it aber nidht nur das {Höpferifjdhe Element der Ge-
[OHichte. Er ftellt vielmehr, genau wie der Selbiterhaltungstrieb des
Rationalismus, ein Losmijdhes Orundprinzip dar. Wie in der
Sefelfhaft das Jndividuum ftirbt, Familie und Volk jedoch weiter=
(eben, fo vergeht in der Natur das Einzelwefen, die Art aber bleibt.
Die Dauer i{t mit allem Leben unzertrennlich verbunden. Alles
crhält von ihr eine magijdhe Weihe. Selbit den menfHlichen
Cgoismus vermag der Blig über Geburt und Zod hinaus zu adelıt.
Denn die Selb{tfucht {ft nur dann unfittlih, wenn fie ausfdhließlich
auf den augenblidliden Genuß zielt. Fakt fie eine größere Zeit
[panne ins Auge, fo wird fie Aug. Legt fie {ih gar Opfer um der