Full text: Betrachtungen über Frankreich

Einführung 
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eine ideelle Funktion. €3 entfpricht ihm vielmehr eine reale Wefen- 
heit. Damit aber entfällt von vornherein jede Diskuffion über die 
Priorität ziwvijhen dem einzelnen und der SGefjamtheit, €3 gibt in 
Wirklichkeit keinen Menfdhen an fih, fondern nur den viölkijch be- 
[timmten Menfdhen, Man kann daher die Nation nicht aus den 
einzelnen Jndividuen ziwechaft erklären, fondern man muß um- 
gefehrt den einzelnen als Glied der Volksgemeinfchaft begreifen. 
Beider ECriftenz mwurzelt gleichermaßen in der Befonderheit ihres 
Charakters; Beide verwirklichen einen beftimmten geiftigen Fnhalt, 
find Perfönlichkeiten im genauen Sinne des Wortes, find Träger 
einer dee und haben alz folche eine befondere gefhichtlidhe Miffion 
zu erfüllen. Die Vererbung diefesS geiftigen Sehaltes von Se{dhlecht 
auf Gefchlecht {Himeißt eine Vielheit vdon Menfdhen Dbeftinnter 
Artung zur Nation zufjammen. Ein Volk ijt nicht das willfürliche 
Erzeugnis eines wie immer befdhaffenen Willensaktes. Beftände 
die Nation nur aus der Hijtorif[dh-zufälligen, vergänglidhen Bevölfe- 
ung eineS gegebenen Zeitpunktes, fo wäre fie wejenloS. Denn es 
imürde ihr die innere Stetigkfeit mangeln. Wer Könnte dafür hlirgen, 
daß die Nation von morgen das gleiche will, wie die von geftern? 
Ein Volk lebt nicht nur in der Gegenwart, es ft kein Gebilde des 
Augenblids. €3 beruht auf der Abfolge der BHeitalter. €3 nährt 
ich aus feinen Erinnerungen wie aus feinen Hoffnungen. € it 
eine Einheit aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Erft die 
Dauer erzeugt die überindividuelle Realität der Nation, {Hafft eine 
Wefenheit, die in jeder ihrer Lebensäußerungen mehr ijt als die 
Summe ihrer jeweiligen Teile, 
So wird die Dauen zum eigentliden Kriterium für die ECrxiftenz 
einer Gemeinfcdhaft. Leben Heißt dauern. Fürft und Bettler haben 
das gleiche Beftreben, dem rinnenden Augenblic zu entfliehen, {ich 
durch die Heit und im der Zeit unfterblidh zu machen, zu Üüberdauern 
in ihren Kindern und Enfeln. Diefjer Unfterblicdhkeitsdrang, diefes 
VBerlangernt, die hiftorijhe Zufälligfeit der individuellen Exijtenz zu 
überwinden, it aber nidht nur das {Höpferifjdhe Element der Ge- 
[OHichte. Er ftellt vielmehr, genau wie der Selbiterhaltungstrieb des 
Rationalismus, ein Losmijdhes Orundprinzip dar. Wie in der 
Sefelfhaft das Jndividuum ftirbt, Familie und Volk jedoch weiter= 
(eben, fo vergeht in der Natur das Einzelwefen, die Art aber bleibt. 
Die Dauer i{t mit allem Leben unzertrennlich verbunden. Alles 
crhält von ihr eine magijdhe Weihe. Selbit den menfHlichen 
Cgoismus vermag der Blig über Geburt und Zod hinaus zu adelıt. 
Denn die Selb{tfucht {ft nur dann unfittlih, wenn fie ausfdhließlich 
auf den augenblidliden Genuß zielt. Fakt fie eine größere Zeit 
[panne ins Auge, fo wird fie Aug. Legt fie {ih gar Opfer um der
	        
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