Full text: Die religiöse Eigentümlichkeit der lutherischen und der reformierten Kirche

114 
tigkeit versäumte und die aus dem Glauben notwendig folgende 
wahre Heiligung vergaß. Dieser äußerlichen Auffassung der 
Rechtfertigung setzte Oslander in Königsberg, ein Süddeutscher, 
(geb. 1498, gest. 1552) entgegen: daß die Rechtfertigung nicht 
n u r in der Vergebung der Sünden bestehe und der Sünder in 
der Rechtfertigung nicht nur für gerecht erklärt, sondern wirk 
lich gerecht gemacht werde und zwar nicht durch den Glauben 
als wirkende Ursache, sondern vielmehr vermittelst der Mit- 
teilung der wesentlichen Gerechtigkeit Gottes. 
Er suchte dadurch, nach seiner praktischen Frömmigkeit, dem untä- 
tigen äußerlichen Glauben vieler Lutheraner zu wehren und auf 
diese Weise auf die lutherische Rechtfertigungslehre eine echte, 
gläubige Sittlichkeit, wie die Reformierten von Anfang an taten, 
zu bauen. Er berief sich in der Verteidigung dieser seiner Ergän 
zung der lutherischen Lehre darauf, „daß seine Meinung mit 
Luthers Grundsätzen nicht im Widerspruch stände. Aber sei cs 
auch so, so sollten die Gegner wissen, daß er Luther nicht als 
unfehlbar anerkennen und sich nicht nach dessen Schriften allein 
zu einem Ketzer oder Schwärmer machen lassen könne; aus der 
h e i l i- g e n S ch r i f t solle man ihm seine Ketzerei beweisen, 
denn diese könne nur die alleinige Richtschnur in diesem Handel 
sein." „Hierdurch goß er Oel ins Feuer, b c n n d i e Königs 
berger Theologen ehrten Luthers A u s s p r ri 
ch e m i n d e st e n s s o, als die Katholiken die 
der K o n z i l i e n." 
Nachdem Calvin die „falsche, gefährliche und profane Abend- 
mahlslehre Zwingli's," wie er selbst sie nannte, bedeutend ver 
ändert und dem christlichen Bedürfnis und dem Wesen und der 
Bedeutung des Sakraments gemäßer, in möglichster Annäherung 
an die lutherische Lehre, obgleich noch in bedeutender Differenz 
von derselben, aufgestellt hatte, traten nicht nur Melanchthon, der 
sich niemals mit der eigentümlichen lutherischen Lehre völlig be- 
freundet hatte, sondern arich viele andere lutherische Theologen 
heimlich auf seine Seite und suchten auch in der lutherischen Kirche 
der calvinischen Lehre heimlich Geltung zu verschaffen, indem 
sie zunächst die beiden behufs der dogmatischen Rechtfertigung der 
lutherischen Lehre aufgestellten Hülfslehren, von der eommunicatio 
idiomatum realis (der wesentlichen gegenseitigen Mitteilung der 
Eigenschaften der göttlichen und menschlichen Natur in Christo) unb 
der daraus gefolgerten Allgegenwart des Leibes Christi, welche 
Luther selbst seit 1528 nicht mehr zur Verteidigung seiner Ansicht 
gebraucht hatte, fallen ließen und eine einfachere und ihrer Mei 
nung nach biblischere Lehre aufstellten. Diese entschiedene Nei- 
gnng vieler Lutheraner zu den Reformierten hin, welche von Me 
lanchthon ausging, erzeugte die krhpto-calvinischen Streitigkeiten, 
welche nur durch die weltliche Macht unterdrückt werden konnten, 
jedoch ben Lutheranern einige deutsche Länder kosteten, die sich 
an die Reformierten anschlössen, bis dann endlich allen diesen 
Streitigkeiten durch die lutherische Eintrachtsformel (1580) ein 
Ende gemacht werden sollte. Durch sie waren aber die Grenzen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.