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tigkeit versäumte und die aus dem Glauben notwendig folgende
wahre Heiligung vergaß. Dieser äußerlichen Auffassung der
Rechtfertigung setzte Oslander in Königsberg, ein Süddeutscher,
(geb. 1498, gest. 1552) entgegen: daß die Rechtfertigung nicht
n u r in der Vergebung der Sünden bestehe und der Sünder in
der Rechtfertigung nicht nur für gerecht erklärt, sondern wirk
lich gerecht gemacht werde und zwar nicht durch den Glauben
als wirkende Ursache, sondern vielmehr vermittelst der Mit-
teilung der wesentlichen Gerechtigkeit Gottes.
Er suchte dadurch, nach seiner praktischen Frömmigkeit, dem untä-
tigen äußerlichen Glauben vieler Lutheraner zu wehren und auf
diese Weise auf die lutherische Rechtfertigungslehre eine echte,
gläubige Sittlichkeit, wie die Reformierten von Anfang an taten,
zu bauen. Er berief sich in der Verteidigung dieser seiner Ergän
zung der lutherischen Lehre darauf, „daß seine Meinung mit
Luthers Grundsätzen nicht im Widerspruch stände. Aber sei cs
auch so, so sollten die Gegner wissen, daß er Luther nicht als
unfehlbar anerkennen und sich nicht nach dessen Schriften allein
zu einem Ketzer oder Schwärmer machen lassen könne; aus der
h e i l i- g e n S ch r i f t solle man ihm seine Ketzerei beweisen,
denn diese könne nur die alleinige Richtschnur in diesem Handel
sein." „Hierdurch goß er Oel ins Feuer, b c n n d i e Königs
berger Theologen ehrten Luthers A u s s p r ri
ch e m i n d e st e n s s o, als die Katholiken die
der K o n z i l i e n."
Nachdem Calvin die „falsche, gefährliche und profane Abend-
mahlslehre Zwingli's," wie er selbst sie nannte, bedeutend ver
ändert und dem christlichen Bedürfnis und dem Wesen und der
Bedeutung des Sakraments gemäßer, in möglichster Annäherung
an die lutherische Lehre, obgleich noch in bedeutender Differenz
von derselben, aufgestellt hatte, traten nicht nur Melanchthon, der
sich niemals mit der eigentümlichen lutherischen Lehre völlig be-
freundet hatte, sondern arich viele andere lutherische Theologen
heimlich auf seine Seite und suchten auch in der lutherischen Kirche
der calvinischen Lehre heimlich Geltung zu verschaffen, indem
sie zunächst die beiden behufs der dogmatischen Rechtfertigung der
lutherischen Lehre aufgestellten Hülfslehren, von der eommunicatio
idiomatum realis (der wesentlichen gegenseitigen Mitteilung der
Eigenschaften der göttlichen und menschlichen Natur in Christo) unb
der daraus gefolgerten Allgegenwart des Leibes Christi, welche
Luther selbst seit 1528 nicht mehr zur Verteidigung seiner Ansicht
gebraucht hatte, fallen ließen und eine einfachere und ihrer Mei
nung nach biblischere Lehre aufstellten. Diese entschiedene Nei-
gnng vieler Lutheraner zu den Reformierten hin, welche von Me
lanchthon ausging, erzeugte die krhpto-calvinischen Streitigkeiten,
welche nur durch die weltliche Macht unterdrückt werden konnten,
jedoch ben Lutheranern einige deutsche Länder kosteten, die sich
an die Reformierten anschlössen, bis dann endlich allen diesen
Streitigkeiten durch die lutherische Eintrachtsformel (1580) ein
Ende gemacht werden sollte. Durch sie waren aber die Grenzen