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Entstandene als unbiblisch und daher als verwerflich unb manches
Biblische als noch mangelnd erscheinen. Indem er aber hier
bessernd nachzuhelfen suchte, mußte er sich notwendig den biblischen
Einrichtungen der Reformierten nähern und dadurch in den Ver
dacht einer Hinneigung zu denselben geraten. Und allerdings ist
das Verhältnis Speners und seines ganzen Verfahrens zu der
reformierten Kirche höchst merkwürdig. Denn fast alle
seine Maßregeln betrafen nichts anderes,- als was schon längst in
der reformierten Kirche vorhanden war, und cs mußte seine ganze
Wirksamkeit dazu dienen, manches einseitig Lutherische aus der
Kirche zu entfernen und diese dadurch der reformierten anzunähern,
oder wenigstens reformierte Elemente in dieselbe hineinzubringen.
Spener selbst war wesentlich von reformiertem Einflüsse berührt;
er war in Süddeutschland geboren; die ersten tiefen Eindrücke auf
ihn machte die Lektüre der heiligen Schrift, des wahren Christen
tums von Arndt und zweier reformierten asketischen Schriften, irne
er denn auch auf seinem Totenbette an einer dritten, von seiner
Jugend her ihin teuer gebliebenen, reformierten Schrift sich- er
baute. Grotius Schriften hatten zeitlebens bedeutenden Einfluß
auf ihn. Er übersetzte eine Schrift des reformierten Franzosen
Labadic, mit welchem er zu gleicher Zeit in Genf gewesen war,
nicht ohne dessen großen Einfluß in seinen Vorträgen in Bezug
auf strenge Sittlichkeit und Reinigung des verderbten kirchlichen Le
bens zu verspüren. Er war als Jüngling lange und gern in Basel
und Genf gewesen, wie er auch stets dankbar blieb für die in
Genf genossene Freundschaft und Liebe. Er war einer der ersten
ausgezeichneten lutherischen Theologen, welche die Union herzlich
wünschten und zur Vereinigung ermahnten; nur hielt er sie in
damaliger Zeit der herrschenden Verbitterung wegen noch- für
sehr bedenklich. Seine Schüler erneuerten aber nachher die Unions-
Versuche, und Zinzendorf und die Brüdergemeinde führten sie zu
erst praktisch aus. — Die lutherische Kirche war ihm nun zwar
die einzig w a h r e Kirche wegen der Reinheit der Lehre; jedoch
suchte er die von Luther begonnene und ausgeführte G I a u-
b c n s reformation durch eine auf dieselbe gegründete Sitten-
refyrmation zu ergänzen. Dadurch näherte er sich jedoch ebenso
sehr der reformierten Kirche, als er tu feindlichen Gegensatz gegen
seine eigne, in toter Orthodoxie erstarrte Kirche treten mußte. Denn
es traten ihm nun zwei in der lutherischen Kirche allgemein ver
breitete, ganz antireformierte Vorurteile entgegen: „es sei wegen
des rechtfertigenden Glaube n s kein Eifer in der H e i I i -
gung nötig und ein äußerlich ehrbares Leben genügend"; und:
„es sei unmöglich, das Leben genau nach der Vorschrift Christi
einzurichten und der Sünde zu entsagen." Dagegen bewies
nun Spener in seinen ersten Predigten „des tätigen Christen-
tums Notwendigkeit und Möglichkeit; er stellte auch
als Regel für das sittliche Leben wie für den Glauben die w ö r t-
l i ch e tt Gebote der heiligen Schrift ans (ganz wie die Refor
mierten). Das (in der heiligen Schrift) geoffenbarte Moralgesetz
schreibt den Christen nicht nur die Sache, die man unternehmen