Full text: Die religiöse Eigentümlichkeit der lutherischen und der reformierten Kirche

119 - 
Entstandene als unbiblisch und daher als verwerflich unb manches 
Biblische als noch mangelnd erscheinen. Indem er aber hier 
bessernd nachzuhelfen suchte, mußte er sich notwendig den biblischen 
Einrichtungen der Reformierten nähern und dadurch in den Ver 
dacht einer Hinneigung zu denselben geraten. Und allerdings ist 
das Verhältnis Speners und seines ganzen Verfahrens zu der 
reformierten Kirche höchst merkwürdig. Denn fast alle 
seine Maßregeln betrafen nichts anderes,- als was schon längst in 
der reformierten Kirche vorhanden war, und cs mußte seine ganze 
Wirksamkeit dazu dienen, manches einseitig Lutherische aus der 
Kirche zu entfernen und diese dadurch der reformierten anzunähern, 
oder wenigstens reformierte Elemente in dieselbe hineinzubringen. 
Spener selbst war wesentlich von reformiertem Einflüsse berührt; 
er war in Süddeutschland geboren; die ersten tiefen Eindrücke auf 
ihn machte die Lektüre der heiligen Schrift, des wahren Christen 
tums von Arndt und zweier reformierten asketischen Schriften, irne 
er denn auch auf seinem Totenbette an einer dritten, von seiner 
Jugend her ihin teuer gebliebenen, reformierten Schrift sich- er 
baute. Grotius Schriften hatten zeitlebens bedeutenden Einfluß 
auf ihn. Er übersetzte eine Schrift des reformierten Franzosen 
Labadic, mit welchem er zu gleicher Zeit in Genf gewesen war, 
nicht ohne dessen großen Einfluß in seinen Vorträgen in Bezug 
auf strenge Sittlichkeit und Reinigung des verderbten kirchlichen Le 
bens zu verspüren. Er war als Jüngling lange und gern in Basel 
und Genf gewesen, wie er auch stets dankbar blieb für die in 
Genf genossene Freundschaft und Liebe. Er war einer der ersten 
ausgezeichneten lutherischen Theologen, welche die Union herzlich 
wünschten und zur Vereinigung ermahnten; nur hielt er sie in 
damaliger Zeit der herrschenden Verbitterung wegen noch- für 
sehr bedenklich. Seine Schüler erneuerten aber nachher die Unions- 
Versuche, und Zinzendorf und die Brüdergemeinde führten sie zu 
erst praktisch aus. — Die lutherische Kirche war ihm nun zwar 
die einzig w a h r e Kirche wegen der Reinheit der Lehre; jedoch 
suchte er die von Luther begonnene und ausgeführte G I a u- 
b c n s reformation durch eine auf dieselbe gegründete Sitten- 
refyrmation zu ergänzen. Dadurch näherte er sich jedoch ebenso 
sehr der reformierten Kirche, als er tu feindlichen Gegensatz gegen 
seine eigne, in toter Orthodoxie erstarrte Kirche treten mußte. Denn 
es traten ihm nun zwei in der lutherischen Kirche allgemein ver 
breitete, ganz antireformierte Vorurteile entgegen: „es sei wegen 
des rechtfertigenden Glaube n s kein Eifer in der H e i I i - 
gung nötig und ein äußerlich ehrbares Leben genügend"; und: 
„es sei unmöglich, das Leben genau nach der Vorschrift Christi 
einzurichten und der Sünde zu entsagen." Dagegen bewies 
nun Spener in seinen ersten Predigten „des tätigen Christen- 
tums Notwendigkeit und Möglichkeit; er stellte auch 
als Regel für das sittliche Leben wie für den Glauben die w ö r t- 
l i ch e tt Gebote der heiligen Schrift ans (ganz wie die Refor 
mierten). Das (in der heiligen Schrift) geoffenbarte Moralgesetz 
schreibt den Christen nicht nur die Sache, die man unternehmen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.