Full text: Die religiöse Eigentümlichkeit der lutherischen und der reformierten Kirche

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oder unterlassen soll, nicht nur die M o t i o e, sondern auch die 
F o r m aller Handlungen vor, welche darin besteht, das; man 
alles tue aus den durch die Gnade empfangenen Kräften, im 
Namen Jesu Christi (Col. 3, 17), aus Glauben 
(Röm. 14, 23), zur Ehre Gottes, (1. Cor. 10, 31; Matth. 
6, 16; Phil. 1, 11; 2.- Thess. 1, 12; 1. Petrj. 2, 9) int b mit 
gänzlicher Verleugnung seiner selbst u n d d e r 
Welt (1. Joh. 2, 15. 16; Gal. 5, 19; Math. 11, 29.)" Da 
her gibt es f ü r den C h r i st e n keine gleichgültigen, indifferen 
ten Handlungen, keine Mitteldinge zwischen Gut und Böse, und 
vornehmlich sind die in der lutherischen Praxis als Mitteldinge 
anerkannten Dinge: das Tanzen, das Theater, der Scherz, das 
Lachen, der Besuch von (weltlichen) Gesellschaften und Wirtshäu 
sern, das Tragen kostbarer Kleider, das Spazierengehen, das 
Fechten, das Karten- und Kegelspiel usw. dem C h r i st e n un 
erlaubt. (Wer verkennt hier die echt reformierte Strenge in Bezug 
auf die Auffassung und Befolgung der positiven 
biblischen Moralgesetze, nach welchen es auch für den Reformierten 
keine Mitteldinge gibt?) Diejenigen, welche nun nach diesen 
biblischen Vorschriften genau lebten, wurden von den orthodoxen 
Lutheranern übertrieben Fromme, P i e t i ft e n x ) ge 
nannt. „Der von Spener angeregte sogenannte Pietismus ist aber, 
wie leicht einzusehen, eilte ganz andere Erscheinung als jenes ängst 
liche, trübe, gesetzliche, am Einzelnen und Unbedeutenden Hangen 
de Wesen, als jenes krampfhafte Abmühen mit Reuegefühlen und 
Bußübungen, als jener im Gewand äußerlicher Demut einhergc- 
hende geistliche Hochmut, als jenes erzwungene, geistlose, phan 
tastische Spiel mit einer angelernten, nicht aus der Fülle eines 
christlich bewegten Gemütes hervorquellenden Frömmigkeit, in wel 
ches er später ausartete und welches, auch zu unserer Zeit 
(bei den Reformierten eigentlich nicht) gar häufig wieder hervor 
getreten, durch den Namen des Pietismus als etwas Verwerfli 
ches bezeichnet wird. Der sogenannte Pietismus Spencr's und 
seiner Freunde war äußerlich angesehen nichts anderes, als 
die (echt reformierte) strenge, sittliche Richtung auf ein tätiges, 
im Glauben und in der Liebe lebendiges Christentum, entgegen 
gesetzt der begriffsmäßigen Starrheit der herrschenden Lehre und 
der unfruchtbaren Kälte des christlichen Lebens. I n n e r l i ch 
aber ruhte er auf der (echt lutherischen) theologischen Grundan 
schauung von dem in der menschlichen Natur liegenden Verderben." 
Spencr's Reformationsverfahren beschränkte sich jedoch keineswegs 
ans diese Reformation der christlichen Sitte. Auch die kirchli 
ch e n Einrichtungen suchte er nach der heiligen Schrift b i b l i- 
s ch e r zu gestalten. Zunächst griff er ganz in Luthers Geist die 
strenge Scheidung der Geistlichen und der Laien, die Unmündig 
keit und die daraus folgende Untätigkeit der Laien an und vin- 
9 Hauptoeranlassung zu dieser Benennung ist der klassisch gewordene An 
fang eines Leichcnkarmens zu Leipzig: „Es ist jetzt stadtbekannt der Nam' der 
Pietisten: Was ist ein Pietist? Der Gottes Wort studiert und nach deinscl- 
auch ein heilig Leben führt."
	        
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