Full text: Die religiöse Eigentümlichkeit der lutherischen und der reformierten Kirche

125 
v ierend e Union, welche die Reformierten von der heiligen 
Schrift aus, nnter Beiseitesetzung der erst nach derselben abgefaß 
ten Augsburgischen Konfession verlangten, als auch jede k o n s c r- 
vierende Union, da die Lutheraner niemanden anerkennen 
wollten, der nicht ihre lutherische Konfession anerkenne, unmöglich 
gemacht. So verlangten also die Lutheraner immer nach ihrer 
vorherrschend kirchlichen Richtung ganz wie die Katholiken 
nur einen unbedingten liebertritt der Reformierten zn ihrer 
Kirche oder, was dasselbe ist, zur Augsburgischen Konfession; 
nnb die einzige jemals gelungene Union (1536) ist eben nur 
darum gelungen, daß durch Bucer's vorsichtige Veranstaltung Lu- 
ther dieselbe als unio absorptiva, die Schweizer als unio conser- 
vaüva oder temperativa ansahen. Diese doppelte Täuschung konnte 
jedoch nicht lange dauern und reizte nachher Luther zu neuen, 
desto bittern Angriffen. Seitdem kam es im Verlauf dreier Jahr 
hunderte niemals wieder zu einer wahren und wirklichen Union 
der beiden getrennten Schwesterkirchen, sondern immer nur zu 
Unions-Vorschlägen und -Versuchen und zu Religionsgcsprächen, 
die meistens mehr neuen Unfrieden und Streit als Frieden und 
Einigkeit veranlaßten. Dergleichen Friedensvorschläge kamen un 
aufhörlich und fast ausschließlich von reformierter Seite her, auf 
welcher also stets eine ironische (friedenstiftende) Tendenz ivar, 
wogegen die Lutheraner alle dergleichen Vorschläge als befrem 
dende Zumutungen entschieden und heftig zurückwiesen »nd da 
gegen gegen die Reformierten (wie gegen alle andern kirchlichen 
Gemeinschaften) eine beständige polemische (streitende) Stel 
lung behaupteten. 
Wir können nun nach unserer bisher entwickelten Ansicht von 
beiden Kirchen, nach welcher die beiderseitigen Differenzen aller 
dings groß und bedeutend erscheinen, keineswegs diese verschiedene 
Stellung der beiden Kirchen gegeneinander von vornherein loben 
oder tadeln, ja, wir müssen vielmehr anerkennen, daß beide Kir 
chen, eine jede nach ihrer religiösen Eigentümlichkeit, zu dieser 
Stellung nicht nur vollkommen berechtigt, sondern auch genötigt 
waren. Auch können wir keineswegs der besonders von seiten nn- 
lntherischer Lutheraner aufgestellten Behauptung bcitreten, daß 
man sich nnr um Worte gezankt habe, oder wenigstens nur um 
christlich und theologisch unbedeutende oder indifferente Dinge, oder 
sich gegenseitig mißverstanden habe (was Luther ausdrücklich- ge 
leugnet hat): wir müssen vielmehr für jede Partei die große, mit 
ihrem innersten Leben eng zusammenhängende Bedeutsamkeit des 
Streites behaupten und können uns bei der sonstigen echt christli 
chen Demut nnb Selbstverleugnung der Reformatoren gerade nur 
daher das unbeugsame Bestehen auf ihrer als allein wahr erkann- 
ten Meinung erklären. Diese herrlichen Männer wußten besser 
als ihre neuern, nicht mit ganMu Herzen g l a n b ende n, son 
dern nur mit dem Verstand meinenden Tadler, was Glau 
ben heißt, nnb konnten daher niemals g e g e n ihre 11 e b e r- 
zeugung irgendeine Lehre aufgeben, die mit ihrem innersten 
Glaubensleben aufs engste verwachsen war, und ebenso wenig des
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.