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v ierend e Union, welche die Reformierten von der heiligen
Schrift aus, nnter Beiseitesetzung der erst nach derselben abgefaß
ten Augsburgischen Konfession verlangten, als auch jede k o n s c r-
vierende Union, da die Lutheraner niemanden anerkennen
wollten, der nicht ihre lutherische Konfession anerkenne, unmöglich
gemacht. So verlangten also die Lutheraner immer nach ihrer
vorherrschend kirchlichen Richtung ganz wie die Katholiken
nur einen unbedingten liebertritt der Reformierten zn ihrer
Kirche oder, was dasselbe ist, zur Augsburgischen Konfession;
nnb die einzige jemals gelungene Union (1536) ist eben nur
darum gelungen, daß durch Bucer's vorsichtige Veranstaltung Lu-
ther dieselbe als unio absorptiva, die Schweizer als unio conser-
vaüva oder temperativa ansahen. Diese doppelte Täuschung konnte
jedoch nicht lange dauern und reizte nachher Luther zu neuen,
desto bittern Angriffen. Seitdem kam es im Verlauf dreier Jahr
hunderte niemals wieder zu einer wahren und wirklichen Union
der beiden getrennten Schwesterkirchen, sondern immer nur zu
Unions-Vorschlägen und -Versuchen und zu Religionsgcsprächen,
die meistens mehr neuen Unfrieden und Streit als Frieden und
Einigkeit veranlaßten. Dergleichen Friedensvorschläge kamen un
aufhörlich und fast ausschließlich von reformierter Seite her, auf
welcher also stets eine ironische (friedenstiftende) Tendenz ivar,
wogegen die Lutheraner alle dergleichen Vorschläge als befrem
dende Zumutungen entschieden und heftig zurückwiesen »nd da
gegen gegen die Reformierten (wie gegen alle andern kirchlichen
Gemeinschaften) eine beständige polemische (streitende) Stel
lung behaupteten.
Wir können nun nach unserer bisher entwickelten Ansicht von
beiden Kirchen, nach welcher die beiderseitigen Differenzen aller
dings groß und bedeutend erscheinen, keineswegs diese verschiedene
Stellung der beiden Kirchen gegeneinander von vornherein loben
oder tadeln, ja, wir müssen vielmehr anerkennen, daß beide Kir
chen, eine jede nach ihrer religiösen Eigentümlichkeit, zu dieser
Stellung nicht nur vollkommen berechtigt, sondern auch genötigt
waren. Auch können wir keineswegs der besonders von seiten nn-
lntherischer Lutheraner aufgestellten Behauptung bcitreten, daß
man sich nnr um Worte gezankt habe, oder wenigstens nur um
christlich und theologisch unbedeutende oder indifferente Dinge, oder
sich gegenseitig mißverstanden habe (was Luther ausdrücklich- ge
leugnet hat): wir müssen vielmehr für jede Partei die große, mit
ihrem innersten Leben eng zusammenhängende Bedeutsamkeit des
Streites behaupten und können uns bei der sonstigen echt christli
chen Demut nnb Selbstverleugnung der Reformatoren gerade nur
daher das unbeugsame Bestehen auf ihrer als allein wahr erkann-
ten Meinung erklären. Diese herrlichen Männer wußten besser
als ihre neuern, nicht mit ganMu Herzen g l a n b ende n, son
dern nur mit dem Verstand meinenden Tadler, was Glau
ben heißt, nnb konnten daher niemals g e g e n ihre 11 e b e r-
zeugung irgendeine Lehre aufgeben, die mit ihrem innersten
Glaubensleben aufs engste verwachsen war, und ebenso wenig des