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ferner das noch gebräuchliche, allergehässigste Schimpfwort Sacra
meuter - Sacramentierer, (Sacramentsverfälscher) und der verächt
liche Schimpfname: „Calvin", beu man Hunden und Katzen bei
legte. Unzählige Bücher erschienen mit Titeln, die den folgenden
ähnlich waren: „Augenscheinliche Probe, daß die Calvinisten mit
Arianern und Türken übereinstimmen, 1610;" „Beweis, daß die
Calvinisten 666 Irrtümer mit den Türken gemein haben;" „Kur
zer Beweis, daß das itzige Vereinigungswesen mit den sogenann
ten Reformierten oder Calvinisten allen zehn Geboten, allen Ar
tikeln des apostolischen Glaubensbekenntnisses, allen Bitten hcs
Vater Unsers, der Lehre von der heiligen Taufe, den Schlüsseln
des Himmelreiches und dem heiligen Abendmahle und also dem
ganzen Kätechismo s ch n u r st n acks zuwiderlaufe. Von
Erdmann Neumeister 1721." Man behauptete, mit 200, ja 300
Argumenten beweisen zu können, daß die calvinische Lehre viel
ärger sei als die Lehre des Satans." In einem Katechismus Ni-
colai's, Predigers in Unna, aus dem Anfange des 17. Jahrhun
derts, heißt es: Fr. „Hältst du es denn gänzlich dafür, daß die
Calvinisten anstatt des lebendigen, wahrhaftigen Gottes den leidi
gen Teufel ehren und anbeten?" Antw. „Das bekenne ich von
Grund meines Herzens." — Calixtus Behauptung, daß die Katho
liken und Reformierten, ungeachtet ihrer Fundamentalirrtümer,
dennoch den unverletzten Grund des Heils hätten, ward von den
Orthodoxen öffentlich verworfen. Thomasius hat um 1700 zum
größten Aergernis der Lutheraner die gemischte Ehe zwischen bei
den Parteien für zulässig erklärt. I
In unseren Tagen wird mit mehr Feinheit und Anstand, je
doch noch ebenso heftig polemisiert. Scheibet und seine Freunde
wenden immer noch allen Ernstes die Stelle 2. Cor. 6, 14: „Zie
het nicht am fremden Joch mit den Ungläubigen" auf die
reformierte Kirche an. „Die reformierte und katholische
Kirche sind aber gar keine biblischen Gemeinen." „Mitglie
der von der einen, heiligen, christlichen Kirche sehe ich auch in
den Kirchen, wo ich n u r Gnosticismus" ^nämlich in der re
formierten) „sehe, an welchen ich also als an Zerrbildern (!) kei
nen Teil haben kann." „Vernunftvergötterung (Vernunftidololatrie)
ist das Prinzip der reformierten Theologie".
Wohltuend find uns bei dem tiefen Schmerz über solche leiden
schaftliche Verirrungen in theologischvchristlichen Streitfragen die
seit der Mitte des 17. Jahrhunderts allmählich beginnenden, und
seitdem immer häufigeren Aussöhnungs- und Friedcnsversuche, ob
schon die meisten wenig fruchteten. Nur einzeln versuchten manche
0 In Bremen und Frankfurt sind erst gegen bas Jahr 1800 die ersten
gemischten Ehen geschlossen worden. Ilebrigens wurde in der lutherischen Kirche
diese furchtbare Leidenschaftlichkeit nicht nur gegen die Reformierten angewandt,
sondern auch gegen die andern .Religionsparteien und selbst gegen scheinbar
heterodoxc Lutheraner. Arnd's Wahres Christcntmn ward für „pestilentialisch,
und überströmend von Papismus, Calvinismus, Flacianismus, Schwenkfeldia
nismus und Weigelianismns erklärt." Calov nannte die Jrrtünrer der Helm-
städter : excrementa Satanae. Die Pietisten und die Brüdergemeinde wurden
schrecklich geängstigt, verlästert und verhöhnt.