17
samkeit als für Verkündigung des Evangeliums begeistert, bis ihnen,
hauptsächlich durch die von Luther angeregte tiefreligiöse Bewe
gung, die Sache des Christentums vor allen andern
Hauptsache wurde. — Von allem diesem finden wir in Norddeutsch
land entweder gar keine Spur, oder wenigstens nur spätere und
schwache Schwingungen der großen Bewegungen Süddeutschlands,
die vielleicht dort den einen und andern und allerdings auch Lu
thers Herz berührten und ihn im Anfange auch zum Verehrer des
Erasmus machten. Immer aber zeichneten sich die Süddeutschen
— und auch ihr Landsmann Melanchthon — in Bezug auf klassi
sche Bildung und Humanität vor dem in diesen Stücken ziemlich
unbewanderten und rohen Luther aus, dessen allzugroße Derbheit,
welche die Papisten und nachher die Schweizer so sehr verletzte,
weniger aus seiner Zeit, als aus seiner Herkunft und aus
seiner Bildung Wohl entschuldigt, aber nicht gerechtfertigt wer
den kaniU).
Wichtiger als diese politischen und wissenschaftlichen Verhält
nisse, welche schon den Charakter der beiderseitigen Reformation
wesentlich modifiziert haben würden, war die Verschiedenheit in
Bezug auf die Frömmigkeit selbst, deren nicht befriedigtes Bedürf
nis ja die eigentliche und nächste Veranlassung zur Reformation
wurde. Das Bedürfnis nach wahrer Frömmigkeit mag wohl ur
sprünglich beiden Gegenden gemeinsam gewesen sein, aber es
äußerte sich auf sehr verschiedene Weise. Die echt deutschen Völker
und vorzüglich die sächsischen Stämme zeichneten sich seit Jahr
hunderten durch treue, innige Anhänglichkeit und blinde und
unbedingte Unterwürfigkeit unter die Kirche und deren Oberhaupt,
den Papst, aus; sie fanden für ihr tief religiöses Bedürfnis feine
andere Befriedigung als im vollkommensten Gehorsam gegen die
römische Kirche: nie hatte man in diesen Gegenden eine andere,
wahre Kirche gekannt; Sekten und Ketzereien waren hier fast un
erhört; daher war dort wohl allgemein gefühlter Druck und Unbe
haglichkeit, aber kein zum Bewußtsein gekommenes und ausgespro
chenes Bedürfnis nach einer Reformation, welches vielmehr in
Luther selbst erst allmählich und fast gegen seinen
Willen erwachte, um dann, als er es ausgesprochen hatte, bei
dem ihn so ganz verstehenden Volke schnell Anklang zu finden,
freilich zuerst wieder bei den viel mehr auf die Reformation vor
bereiteten Städten Süddeutschlands * 2 ),
Von dieser echt kirchlichen Frömmigkeit, als deren edelster
Repräsentant Luther erscheint, finden wir bei den südlichen und
westlichen Völkern nur wenig Spuren. Wir meinen hier weniger jene
Menge frivoler Menschen, welche durch das neue Licht der Wissen
schaft geblendet mit der Kirche auch das Christentum weggeworfen
hatten und in ihrem Herzen bloße Heiden und Ungläubige gewor
') Luther ronr wohl ein gelehrter Theologe, aber ungebildet, Zwingli
weniger gelehrter Theologe als ein gelehrt gebildeter Prediger.
2 ) lieberall waren es zuerst die Städte, Die kühn und mutig die Reformation
durchsetzten (Reutlingen, Nürnberg, Magdeburg, Augsburg, Straßburg, Worms,
Ulm, Memmingen, "Constanz, Zürich), während die größeren, monarchischen
Staaten, und besonders Sachsen selbst, noch lange unentschlossen zögerten.