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hündischen Erblande, das blühende Holland, das nun eben so
eifrig reformiert wurde als das wieder unterworfene Belgien bigott
katholisch. Lange aber dauerten auch noch in den sieben vereinig
ten Provinzen die Zwistigkeiten zwischen dem monarchischen Prin
zip, das die persönlich so sehr beliebten Oranier begünstigten, und
dem demokratischen der Staaten, bis sie endlich nach trauriger
Zwischenherrschaft in neuer Liebe um ihren verfassungs
mäßigen F ü r st e n sich sammelten. Die in den österrei
chischen Staaten (vorzüglich in Ungarn) befindlichen Reformierten
sind als weit unruhigere und gefährlichere Untertanen als die dort
wohnenden Lutheraner bekannt.
Ich wiederhole hier noch einmal, daß ich mir kein Urteil an
maße, auch hier also weder loben noch tadeln will; und wenn ich die
reformierte Kirche hier scharf angegriffen zu haben scheine, so will
ich hinwiederum auch daran erinnern, daß alle diejenigen Staaten,
die sich danrals der R e f o r m n t i o n widersetzten, Frankreich,
Belgien, Italien, Spanien, Portugal, Polen, unaufhörlichen Re-
volutionen ausgesetzt gewesen sind, an denen manche bis
zum Tode krank lagen. Ich will nur daran. erinnern, daß alle
lutherischen Staaten in neuerer Zeit ein unablässiges, oft durch
gefährliche Ausbrüche sich zeigendes Streben nach den Freiheiten
haben, die die reformierten Staaten sich längst erkämpft haben,
mit deren ruhigem Besitze sie sich entweder begnügen wie Holland,
Schottland und Nordamerika, oder deren sie sich wie England und
die Schweiz bedienen können, um auf gesetzlichem Wege noch grö
ßere Freiheiten zu erringen.
Wie sich die reformierte Kirche durch politischen Li
beralismus von der lutherischen unterscheidet, ebenso k i r ch l i ch-
liberal ivar sie von Ansang an. Immer hatten die Päpste die
ihnen in politischen Händeln oft so nützlichen Schweizer mit be
sonderer Vorliebe und weit vorsichtiger als die Deutschen, z. B.
aus auffallende Weise auch noch während der Ablaßhändel, behan
delt. Niemals war in- der Schweiz die Hierarchie so vollkommen
ausgebildet als in Deutschland; hier gab es keine Erzbischöfe und
Kurfürsten, und die Bischöfe waren fast gar nicht, wie in Deutsch
land überall, Territorialherren, und überall fing die Reformation
damit an, daß der Rat sich der bischöflichen Gerichtsbarkeit entzog
und das Recht, die Kirche zu beaufsichtigen, sich selbst aneignete.
Die Obrigkeit aber erklärte sich selbst dem Worte Gottes untertan,
gestattete daher gern das von den Reformatoren geforderte Auf
sichtsrecht der Prediger über die Obrigkeit, und überall traten die
Prediger in Synoden zu ihrer eigenen Beaufsichtigung und För
derung zusammen. Und wenn die Obrigkeiten in der Schweiz und
in Holland, scheinbar über Gebühr, in Glaubcnssachen einschritten,
so taten sie dies nicht als bürgerliches Regiment, sondern „als
christliches und erwarben sich das höchste Vertrauen des
Volkes als Mit ch r i st e u, das in ihnen ebenso wohl ch r i st-
l i ch e als bürgerliche Vorsteher erblickte; oder, da die ganze Ge-
m e i n d e nicht zusammenkommen konnte, als christliche
Stellvertreter eines christlichen Volkes, die darauf