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empfänglich für jede Wahrheit, während Luther, sobald er mit
der ganzen Kraft seines Herzens eine Wahrheit erfaßt und sic
seinem Verstände klar gemacht hat, für jede andere Auffassung
derselben Wahrheit keinen Sinn mehr hat. Luther erscheint uns
seinem ganzen Wesen nach unendlich viel liebenswürdiger, als
Mensch und als Christ größer und herrlicher als Zwingli, der da
gegen an Konsequenz, an Mäßigung und Vorsicht den hierin lange
nicht so fehlerfreien Luther weit übertrifft, der ja ihn selbst so
sehr verkannte. „Es ist fast lächerlich, wenn Luther mitten in
seiner schwärmerisch tobenden Leidenschaft den ehrlichen Zivingli
einen Schwärmer nennt, ihn, der von aller Schwärmerei so f e r n
war." Charakteristisch ist, daß Luther.in seiner lebendigen Phantasie
und im heftigen Kampfe mit der Sünde unaufhörlich mit dem
Teufel zu tun hat, während Zwingli (und auch Calvin) ihn bei
ihrem ruhigern stetigern Bleiben in der Gemeinschaft mit Christo
auf eine glückliche Weise ignorieren dürfen. Luther tat mit meistens
richtigem und sicherm Takt tiefe Blicke in die heilige Schrift und
wußte immer den rechten Fleck zu treffen, während Zwingli durch
Genauigkeit, Klarheit unb Umsicht unstreitig der tüchtigere
Bibelerklärer war.
Wie kamen nun nach dieser Eigentümlichkeit, die übrigens
Zwingli mit den meisten seiner Freunde teilte, die beiden Männer
zur Reformation? Luther kam von seinem H e r z e n s b e d ü r f-
n i s aus, fast gegen seinen Willen zur Einsicht des Be
dürfnisses einer Reformation der Kirche; Zwingli
erkannte durch eine. V e r st a n d e s o p e r a t i o n die Not
wendigkeit einer R e n o v a t i o u der Kirche. Zwingli
w a r sich von Anfang an vollkommen klar, Luther wurde sich
erst allmählich klar. Zwingli arbeitete an der Kirche m e h r
von außen nach innen, Luther durchaus nur von innen nach
außen. Es würde daher die reformierte Reformation wie alle
frühern reformatorischen Versuche vielleicht mißlungen sein, wenn
nicht von Luther her die Reformierten das i n n e r l i ch e Glau
benselement empfangen hätten. Mag daher auch die schweizerische
Reformation mit Recht ihre ersten Anfänge noch über Luther hin
aus datieren, so wird doch niemals geleugnet werden können, daß
d i e Reformation, die überall wirklich gelungen ist, erst durch
Luther angefangen worden ist. Darum heißt auch Luther mit
vollem Rechte in jeder Beziehung der e r st e Reformato r.
Was für ein „Herzensbedürfnis" trieb nun aber Luther, ohne
daß er es ahnen konnte, zur Reformation? Mit einem Worte:
welches war sein Reformationsprinzip? Wir müssen
diese Frage gründlich und richtig zu beantworten suchen.
Es kostete Luther selbst viele Mühe und aoch mehr seinen ihn
dazu zwingenden Gegnern, ehe er mit Freudigkeit au das große
Werk einer Reformation der Kirche ging. Sein christliches Bewußt
sein wurzelte im Beginn der Reformation ganz und gar in der
römisch-katholischen Kirche, deren Oberhaupt, den Papst, „er als
den sichtbaren Gott auf Erden anbetete." „Da ich diese Sache
wider den Ablaß anfing" so sagt er selbst,1540, „war ich so voll