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und trunken, ja so ersoffen in des Papstes Lehre, daß ich vor
großem Eifer bereit wäre gewesen, wenn's in meiner Macht ge
standen, zu ermorden oder hätte ja zum wenigsten Gefallen daran
gehabt und dazu geholfen, daß ermordet worden wären alle die,
so dem Papst in der geringsten Silbe nicht hätten wollen gehor
sam sein". Und als er nun dennoch G e w i s s e n s h a l b e n seine
95 Theses hatte anschlagen lassen, schreibt er in der Vorrede zu
deren Ausgabe: „Ich sahe nicht auf viel fromme Männer, die
groß Gefallen an meinen Propositionen (Thesen) hatten und viel
davon hielten, sondern allein auf den Papst, Kardinäle, Bischöfe,
Theologen, Juristen, Mönche und Pfaffen. Von daher wartete ich
des Geistes: denn ich hatte ihre Lehre so gierig (daß ich so rede)
gefressen und gesoffen, daß ich gar dumm davou war und nicht
fühlete, ob ich schlief oder wachte. Und da ich alle Argumente,
so mir im Wege lagen, durch die Schrift überwunden hatte, habe
ich letztlich dies einige, nämlich daß man die Kirche
h öten s o l l, mit großer Angst, Mühe und Arbeit durch Christi
Gnade kaum überwunden; denn ich hielt mit viel größerem
E r n st und rechter Ehrerbietung — und tats von
Herzen — des P a p st s Kirche für die r e ch t e Kirche,
denn diese schändlichen und lästerlichen Verkehrer, die jetzt des
Papsts Kirche hoch wider mich rühmen." Und noch später bekennt
er: „Ich empfinde täglich bei mir, wie gar schwer es ist, lang-
währige Gewissen und mit menschlichen Satzungen gefangen, ab
zulegen. O wie mit viel großer Mühe und Arbeit, auch durch ge
gründete heilige Schrift, habe ich mein eigen Gewissen kaum können
rechtfertigen, daß ich einer allein Wider den Papst habe dürfen auf
treten, ihn für den Antichrist halten, die Bischöfe für seine Aposteln,
die hohen Schulen für seine Hurhäuser. Wie oft hat mein Herz
gezappelt, mich gestraft und mir fürgeworfen ihr einig stärkest
Argument: du bist allein klug? Sollten die andern alle irren und
so eine lange Zeit geirret haben? Wie, wenn du irrest und so
viele Leute in Irrtum verführest, welche alle ewiglich verdammt
werden? Bis so lang, daß mich Christus mit seinem einigen ge
wissen Wort befestiget und bestätiget hat, daß mein Herz nicht
mehr zappelt, sondern sich wider diese Argumente der Papisten als
ein steinern Ufer wider die Wellen auflehnt und ihr Dräuen und
Stürmen verlachet." (Wo findet man ähnliche Aeußerungen über
die innige Anhänglichkeit an die Kirche und den Papst beiden
reformierten Reformatoren? )
Was Luther demungeachtet zwang, öffentlich gegen einen Miß
brauch der Kirche und allmählich gegen mehrere und zuletzt gegen
die römische Kirche selbst aufzutreten, war keineswegs das Formal
prinzip der alleinigen Autorität der heiligen Schrift, noch weniger
die Forderung willkürlich freier Forschung in derselben oder das
Streben nach Vernunft- und Gewissensfreiheit, sondern vielmehr
das materielle Prinzip: die Grundlehre der „Rechtfertigung durch
den Glauben an die Gnade Gottes in Christo."
Luther hatte von Gott ein reiches, tiefes Gemüt, warmes Ge
fühl und eine große, lange unbefriedigte Sehnsucht nach Gewissens-