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rilhe empfangen; aber er war auch ein kräftiger, heftiger, leiden
schaftlicher Jüngliilg und hatte, lvie er selbst sagt, viel mit seinen
Sünden, mit Versuchungen und Gewissensangst zu kämpfen. Er
hoffte im Kloster, in das er, wie er selbst sagt, „mit Erschrecken
und Angst des Todes umgeben", gegen den Willen des Vaters
eintrat, in Selbstverleugnung und Werkgerechtigkeit Hülfe zu finden.
Er war „ein frommer Mönch", aber alle Kasteiungen gaben ihm
nicht das, was er bedurfte, und auch die vertrauteste Bekanntschaft
mit den edelsten Mystikern, mit Augustinus, Tauler, Thomas n
Kempis und der deutschen Theologie, gu denen sein Herz sich sein
ganzes Leben lang hingezogen fühlte und denen er viel zu ver
danken hatte, konnte seinem Gewissen nicht den Frieden mit Gott,
deir er suchte, geben. Da hörte er zum ersten Male von einem
alten Klosterbruder die hohe Bedeutung der Worte im apostolischen
Glaubensbekenntnis: „Ich gliaube Vergebung der
Sünde ii." Sein teurer Lehrer Staupitz lehrte ihn das Wesen
der Buße (poenitentia) als einer Aenderung des Sinnes aus Liebe
zu der Gerechtigkeit und zu Gott kennen, und dann erkannte er
endlich aus der heiligen Schrift die Gerechtigkeit, die vor Gott
gilt, worüber er anderthalb Jahre vor seinem öffentlichen Auftre
ten an Georg Spenlein zu Memmingen schreibt: „Ich möchte gern
wissen, ob deine Seele endlich einmal der eigenen Gerechtigkeit
überdrüssig, in der Gerechtigkeit Christi sich erquicken und derselben
vertrauen wolle. Lerne Christum kennen und Zwar den Gekreu
zigten, lerne ihm singen: „Du, Herr Jesu, bist meine Gerechtig
keit, ich aber bin dein Sünder."
Diese Wahrheit, Christus unsere Gerechtigkeit, Gott ist uns in
Christo gnädig, cs gibt eine Rechtfertigung des Sünders vor Gott,
wir werden gerecht durch den Glauben an die Gnade Gottes in
Christo Jesu — diese Wahrheit, die er nach langjähriger großer
Not und Angst unter schweren Kämpfen in der Schrift gefunden
und von ganzem Herzen ergriffen hatte, hielt er nun auch sein
ganzes Leben hindurch mit felsenfester freudiger Gewißheit fest als
sein höchstes^Kleinod; mit dem Bekenntnis dieser Wahrheit ist er
auch freudig gestorben. Von dieser Lehre aus bildete er sich nun
sein ganzes System. „E v n n g e l i u m" und „Glaube n" sind
die in seinen Schriften immer und immer wiederkehrenden Worte,
die er sich nie und unter keiner Bedingung nehmen lassen wollte.
Je nachdem etwas mit dem Glauben zusammenhing, war es
ihm wichtig oder unwichtig; er war erbötig, alles nachzugeben,
wenn man nur das Evangelium frei zulassen wollte; „er
nahm aber später nicht leicht eine Vorstellung auf, die sich nicht
an diese Grundbegriffe schmiegen wollte, welche sein System zu
sammenhielten, denn diese Grundbegriffe wurden bei ihm unver
merkt der Probierstein, an dem er die Wahrheit aller andern
prüfte. Er kam dadurch selten in die Gefahr, Irrtümer für Wahr
heit anzunehmen, aber öfters Wahrheit als Irrtum zu verwerfen."
Durch das Ergreifen dieser einen christlichen Grundwahrheit
lvar Luther aber noch keineswegs in seinem Herzen mit seiner rö
mischen Kirche zerfallen, fand er doch dieselbe Lehre bei seinem