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Johannis Evangelium und Sankt Paulus Episteln, sonderlich die
zu den Römern, und Sankt Petrus erste Epistel sind der rechte
Kern und Mark unter allen Büchern, welche auch billig die ersten
sein sollten und einem jeglichen Christen 311 raten wäre, das; er
dieselbigen am ersten und allermeisten lese und sich durch täglich
Lesen so gemein machte als das tägliche Brot. Denn in diesen
findest du nicht viel Werk und Wundertaten Chri st i
beschrieben; du findest aber gar meisterlich ausgestrichen, wie der
Glaube an C h r i st u m Sünde, Tod und Hölle überwin
det und das Leben, Gerechtigkeit und Seligkeit gibt, welches die
rechte Art des Evangeliums ist, wie du gehöret hast." So traten
ihm also selbst die Evangelie n, „das ewige, zarte, rechte
Hauptevangelium Sankt Johannis ausgenommen", aus denen man
doch allein „Christum predigen" kann, was die Schweizer immer
wollten und auch so gern vorzugsweise aus den Evangelien
taten, zurück gegen die E p i st e l n, weil diese den Glauben
an Christum predigen; ja, er predigte selbst aus den evange
lischen Abschnitten in seinen Postillen weniger Christum als
den Glauben an ihn. So durste er die Epistel Jakobi eine „stroherne
Epistel" nennen, die keine evangelische Art an sich habe,
und sie für unapostolisch halten; und sein Geist konnte sich in
die Offenbarung Johannis nicht schicken; er achtete sie weder „als
apostolisch noch als prophetisch hoch, weil Christus weder darinnen
gelehrt noch erkannt wird."
Diese nach seinem positiven Glaubensprinzip gemessene heilige
Schrift ward nun sowohl die einzige Autorität, die er im Streite
mit seinen papistischen Gegnern gelten ließ, als auch der formale
Maßstab, das negativ regulierende Prinzip, an das alles in der
katholischen Kirche Bestehende gehalten werden sollte, nach dem
Grundsätze: „Alles, was wider die heilige Schrift ist, muß ver-
warfen werden," welchen er aber gleich mit dem andern identi
fizierte: „Alles, was nicht gegen die heilige Schrift ist, ist für
die Schrift, und die Schrift für dasselbe."
Wir müssen uns hierüber noch näher erklären: Sobald er
von den Papisten wegen seiner Thesen angegriffen wurde, berief
er sich folgendermaßen auf die heilige Schrift: „Wiewohl dieser
Unterschied schwerlich oder auch gar nicht gegründet gefunden Ivird
in der heiligen Schrift, noch in den alten heiligen Lehrern, doch
wollen wir das itzt so lassen bleiben ... In diesen Punkten
habe ich nicht Zweifel, und sind genugsam in der heiligen Schrift
gegründet." Oder: „Alle heiligen Lehren gelten nicht gegen den
einigen Spruch der heiligen Schrift. — Sie zerreißen die Schrift.
Die Schrift wird gekreuzigt. Das Wort Gottes wird lästerlich zu
nichte gemacht, gemeistert, verdorben." „Es ist die allerunver
schämteste Frechheit, in der Kirche und vor den Christen etwas zu
behaupten, was Christus nicht gelehrt hat . . ." „Wo lehrt das
die Bibel? die Kirchenväter?. die Canones? wo, unsere Ma
gister ausgenommen, jemand in der ganzen Welt?" „Es muß
neben dir (Eck) ganz Leipzig mir Zeugnis geben, daß ich mich
allzeit auf die heilige Schrift berufen habe. Auch schämst du dich