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(wie diese Lehre) oder vielmehr, daß die Lehre das Licht dieses
Steines vertragen konnte, so nahm ich sie an; wo nicht, so wurde
sie verworfen. Endlich kam es dazu, daß ich auf den ersten Blick
sogleich erkannte, ob etwas hinzu getan oder beige-
m i s ch t sei, und keine Gewalt, keine Drohungen konnten mich
jetzt bewegen, M e n s ch e n s a tz u ii g e n, so stolz und prächtig
sie sich auch zeigten, zu glauben wie die Gebote Gottes.
Ja, wenn irgend jemand etwas, diesen göttlichen Gesetzen nicht
Gleichlautendes oder Entgegenlaufendes zu glauben
befahl, so rief ich ihm des Apostels Ausspruch zu: man muß Gott
mehr gehorsamen, als den Menschen."
Darum hatte sich Zwingli schon 1516 mit Capito zur Ab
schaffung des Papsttums verbunden und, wie deutlich aus seinen
Briefen hervorgeht, in seinem Verstände den Plan einer Reforma
tion in Zürich gefaßt, ehe noch sein Herz lebendigen Anteil
daran nahm. Darum ermahnte er, noch ehe er nach Zürich- kam
(1518), seinen Bischof von Konstanz: „auf Mittel zu denken, wie
man die vielfältigen groben Mißbräuche und den Aberglauben aus
der Kirche wegschaffen könnte."
Höchst charakteristisch ist ein Brief Wolfgang Joner's, eines
Beförderers der Reformation, welcher die Geschichte seiner Ueber-
zeugungen enthält. Er sagt darin, er habe eifrig die Dekrete der
Päpste studiert, aber gefunden, daß sie selbst miteinander stritten;
da habe er seine Zuflucht zu den Kirchenvätern genommen, aber
auch sie nicht einstimmig gefunden; aber sie berufen sich alle auf
die heilige Schrift. „Ich ging von ihnen zur Quelle selbst; ich
fand stärkende Labung ohne Ucberdruß. Ich lernte aus dem Sitten
und Neuen Testamente, daß man die falschen Propheten, d. h. die,
so sich nicht auf Gottes Gebot berufen, nicht hören und daß man
dieses nicht durch menschliche Träumereien verunstalten müsse.
Christus selbst belegt alles mit Zeugnissen des Alten Testamentes;
so auch die Apostel, besonders Paulus. Im Neuen Testament fand
ich alles, was zum Heil der Menschen gehört. Von da an hielt
ich mich immer fest an den Grundsatz: man m ü s s e e i n z i g
der h e i l i g e n S ch r i f t f o l g e n u n d a l l e m e n sch
lich e n Zusätze verwerfen. Und den Gläubigen das
Verständnis der heiligen Schrift absprechen, hieße Christum zum
Lügner machen." — Sebastian Meyer und andere Freunde Zwingli's
gaben 1522 den Hirtenbrief des Bischofs von Konstanz mit An
merkungen heraus und klagen folgendermaßen: „Von der heiligen
Schrift wollen sie uns an die Konzilien weisen; so setzen sie unser
Heil auf etwas so Unsicheres und Zänkisches, da uns
Christus dasselbe auf einen sicheren Grund gesetzt hat. Sie
wollen die heilige Schrift in diesem Schreiben nicht Richter sein
lassen, sondern nach ihrer Willkür selbst Richter sein; und da
Gott einige fromme Christen erweckt hat, sich an das Eva n-
g e l i u m, das sie unterdrückt und verdunkelt haben, zu ha l-
t e n und die M e n s ch e n s a tz u n g e n z u v e r a ch t e n, so
sprechen sie, man bringe alte unterdrückte Irrtümer vor, als ob
das Evangelium neu und nicht viel älter