Full text: Die religiöse Eigentümlichkeit der lutherischen und der reformierten Kirche

48 
. Ties bekümmern mußte Luther das gewaltsame Verfahren 
Carlstadts und der himmlischen Propheten. Er hatte bisher nur 
als Privatperson gehandelt, hatte nur für sich und die ihm anver- 
'VträüKn Seelen seinen seligmachenden Glauben festzuhalten gesucht 
und hätte immer noch gerne geschwiegen, wenn man ihn nur auch 
in Ruhe gelassen hätte. Als man ihn nun aber immer von neuem 
auf den offenen Kampfplatz rief, hatte er mit heiliger Freude ge 
sehen, daß seine subjektive Sache des Volkes Sache geworden 
war. Nun tat er aber auch das Seinige, daß der Segen 
des Evangeliums allen zu teil werden möge; aber es sollten die 
Gewissen dabei völlig frei bleiben, nichts mit äußerlicher Gewalt, 
alles durch innerliche Ueberzeugung geschehen. Er vertraute dabei 
auf die innere Kraft der göttlichen Wahrheit, durch welche mit 
der Zeit allmählich, unter verschiedenen ä u ß e ren For 
men, auf die es ihm nicht ankam, von neuem eine wahre, allge 
meine, christliche Kirche entstehen werde — wobei er freilich auf 
fortdauernde Begeisterung und fortdauernde Re 
formation rechnete und die Menschen nach einem 'Ideal beurteilte, 
dem die Wirklichkeit nicht entsprach. So brachte er denn vor allem 
seinem lieben deutschen Volke seine beste Gabe, Gottes Wort in 
der lieben Muttersprache, und da ihn nun die päpstliche Kirche als 
einen Ketzer verdammt und feierlich ausgeftoßen hatte, so erwar 
tete er zuversichtlich, daß durch die Kraft des Wortes Gottes die 
wahre christliche Kirche, zu welcher er, ivie ein treuer Sohn zur 
Mittler, sich stets eine kindliche, innige Liebe bewahrte, in welcher 
er im Geiste alles Mangelhafte, alles Falsche und Verkehrte ab 
getan sah, sich reinigen und neu beleben werde. Nun wurde aber 
auf einmal das bisher rein subjektiv und innerlich gebliebene Werk 
der Reformation nach dem i h in fremden positiven Schrift- 
prinzip und darum seiner Meinung nach mit unrechter äußer 
licher Gewaltsamkeit und mit fleischlichem Eifer betrieben. Das 
tat ihm im Innersten seiner Seele weh. „Mich hat der Jammer 
also zutrieben, daß, wo ich nicht gewiß wäre, daß lauteres Evan 
gelium bei uns ist, ich hätte verzagt an der Sache. Alles, was 
bisher mir zu Leide getan ist in der Sache, ist Schiinvf und 
nichts gewesen. Ich wollts auch, wenn es hätte sein können, 
mit meinem Leben gern erkauft haben". Darum mußte Luther 
„aus Not seines Gewissens" (er sagt nicht: durch die hei 
lige Schrift) gedrungen, sich diesem Verfahren widersetzen. Schwer 
wurde ihm der Kampf, da sich Carlstadt und die Zwickauer immer 
nur auf die heilige Schrift beriefen, und auch Luther weniger die 
Sache selbst, als nur die Gewaltsamkeit und Uebereilung tadeln 
konnte. Er eilte nach Wittenberg und predigte achtmal hinter 
einander gegen die Unordnungen und gegen ihren Schristgrund; 
ja er zog sich gegen Carlstadts Berufung auf das objektive 
Wort Gottes auf die subjektive Klugheit und 
Weisheit zurück. „Recht habt ihr wohl," sagte er, „und pre 
digen will ichs, aber dringen und zwingen mit Gewalt will ich nie 
mand, denn der Glaube will willig und ungenötigt sein und 
ohne Zwang angenommen werden. Nehmt ein Exempel an mir:
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.