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. Ties bekümmern mußte Luther das gewaltsame Verfahren
Carlstadts und der himmlischen Propheten. Er hatte bisher nur
als Privatperson gehandelt, hatte nur für sich und die ihm anver-
'VträüKn Seelen seinen seligmachenden Glauben festzuhalten gesucht
und hätte immer noch gerne geschwiegen, wenn man ihn nur auch
in Ruhe gelassen hätte. Als man ihn nun aber immer von neuem
auf den offenen Kampfplatz rief, hatte er mit heiliger Freude ge
sehen, daß seine subjektive Sache des Volkes Sache geworden
war. Nun tat er aber auch das Seinige, daß der Segen
des Evangeliums allen zu teil werden möge; aber es sollten die
Gewissen dabei völlig frei bleiben, nichts mit äußerlicher Gewalt,
alles durch innerliche Ueberzeugung geschehen. Er vertraute dabei
auf die innere Kraft der göttlichen Wahrheit, durch welche mit
der Zeit allmählich, unter verschiedenen ä u ß e ren For
men, auf die es ihm nicht ankam, von neuem eine wahre, allge
meine, christliche Kirche entstehen werde — wobei er freilich auf
fortdauernde Begeisterung und fortdauernde Re
formation rechnete und die Menschen nach einem 'Ideal beurteilte,
dem die Wirklichkeit nicht entsprach. So brachte er denn vor allem
seinem lieben deutschen Volke seine beste Gabe, Gottes Wort in
der lieben Muttersprache, und da ihn nun die päpstliche Kirche als
einen Ketzer verdammt und feierlich ausgeftoßen hatte, so erwar
tete er zuversichtlich, daß durch die Kraft des Wortes Gottes die
wahre christliche Kirche, zu welcher er, ivie ein treuer Sohn zur
Mittler, sich stets eine kindliche, innige Liebe bewahrte, in welcher
er im Geiste alles Mangelhafte, alles Falsche und Verkehrte ab
getan sah, sich reinigen und neu beleben werde. Nun wurde aber
auf einmal das bisher rein subjektiv und innerlich gebliebene Werk
der Reformation nach dem i h in fremden positiven Schrift-
prinzip und darum seiner Meinung nach mit unrechter äußer
licher Gewaltsamkeit und mit fleischlichem Eifer betrieben. Das
tat ihm im Innersten seiner Seele weh. „Mich hat der Jammer
also zutrieben, daß, wo ich nicht gewiß wäre, daß lauteres Evan
gelium bei uns ist, ich hätte verzagt an der Sache. Alles, was
bisher mir zu Leide getan ist in der Sache, ist Schiinvf und
nichts gewesen. Ich wollts auch, wenn es hätte sein können,
mit meinem Leben gern erkauft haben". Darum mußte Luther
„aus Not seines Gewissens" (er sagt nicht: durch die hei
lige Schrift) gedrungen, sich diesem Verfahren widersetzen. Schwer
wurde ihm der Kampf, da sich Carlstadt und die Zwickauer immer
nur auf die heilige Schrift beriefen, und auch Luther weniger die
Sache selbst, als nur die Gewaltsamkeit und Uebereilung tadeln
konnte. Er eilte nach Wittenberg und predigte achtmal hinter
einander gegen die Unordnungen und gegen ihren Schristgrund;
ja er zog sich gegen Carlstadts Berufung auf das objektive
Wort Gottes auf die subjektive Klugheit und
Weisheit zurück. „Recht habt ihr wohl," sagte er, „und pre
digen will ichs, aber dringen und zwingen mit Gewalt will ich nie
mand, denn der Glaube will willig und ungenötigt sein und
ohne Zwang angenommen werden. Nehmt ein Exempel an mir: