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für Evangeli» m gehalten wird. Denn nicht alle
fassen das Evangelium, können daher auch nicht alle evangelisch
regiert werden. Dennoch müssen alle evangelisch lehren, bis alle
es fassen; die Andern aber, die es noch nicht fassen, müssen ge
duldet werden"^.
Ebenso deutlich findet sich diese Differenz in Bezug auf das
materiale und sormale Reformationsprinzip öffentlich aus
gesprochen in den Bekenntnisschriften der beiden Kir
chen. Die Ailsburgische Konfession enthält „das Bekenntnis des
Glaubens, welchen nian aus Grund göttlicher
und heiliger Schrift in unsern Landen predigt"; cs
wird in ihr sich darauf berufen: „daß diese Lehre in der hei
ligen Schrift gegründet und dazu auch gemeiner
christlichen Kirche, ja auch römischer Kirche, so viel aus
der Väter Schrift zu vermerken, nicht zuwider noch ent
gegen se i." Sonst kommt in der ganzen Konfession kein Wort
über das Ansehen der heiligen Schrift vor, nur wird als deren
Inhalt das Evangelium und die Lehre vom Glauben be
sonders hervorgehoben, also das materiale Reformations
prinzip. Es wird keineswegs alles auf das Wort Gottes zurück
geführt oder alles von demselben aus ausgebaut und überhaupt
die albe i n i g e Autorität der heiligen Schrift gar nicht be
hauptet. In der Apologia Confessionis wird der Artikel von der
Rechtfertigung der v o r n e h m st e genannt, was die Concordien-
formel ausdrücklich wiederholt; außerdem wird das Schrift
prinzip ausdrücklich nur formal und negativ ausgesprochen: „Es
ist nicht ratsam, in der Kirche ohne Autorität der Schrift Ge
bräuche einzuführen."
Ganz anders dagegen die reformierten Bekenntnisse. Nicht
nur handeln die wichtigsten unter ihnen ex professo und meistens
immer in dem ersten Artikel von der heiligen Schrift, sondern
sie sprechen auch auf das Bestimmteste die Wichtigkeit aus, welche
die Anerkennung der alleinigen Autorität des Wortes Got
tes für die Erneuerung und Erbauung der Kirche hat, und man
sieht deutlich, wie ihre ganze Lehre sich von diesem Grund
sätze aus gebildet hat. Gleich das ebenfalls zu Augsburg über
gebene Vierstädtische Bekenntnis (das reformierte Seitenstück zur
Augsburgischen Konfession) sagt (Kap. 1) : „Wir haben, weil
uns dazu ohne weitern Aufenthalt sowohl die Furcht Gottes als
auch die Gefahr des Gemeinwesens antrieb, den Predigern bei
uns befohlen, daß sie auf der Kanzel nichts anderes als
was in der heiligen Schrift enthalten ist
st Treffender kann man die wesentliche Verschiedenheit des Schriftprincips
nicht bezeichnen, als Luther selbst hier gegen die Zwickaner tut. — Ich fiige hier
nur noch zur nächsten Vergleichung hinzu, was Zwingli zu derselben Zeit erleben
mußte: Er wurde, 1528, öffentlich gerade wegen dessen, was Luther verwarf,
angeklagt: „es sei ärgerlich und unrecht, daß er von gewissen Dogmen und
Gebräuchen, worüber andere predigten, sage: er finde dieselbigcn nicht in der
heiligen Schrift oder in anderen alten Kirchenvätern, da die heilige Schrift doch
auch nichts enthalte, was denselben ausdrücklich widerspräche." Er sagt 1523:
„alles, was ®ott nicht gelehrt hat, sondern von Menschen herkommt, ist niemals gut."