Full text: Die religiöse Eigentümlichkeit der lutherischen und der reformierten Kirche

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ihres Glaubens (coniessio fidei) angesehen. Daher hat auch jede 
einzelne reformierte Kirche, dem Bekenntnistriebe folgend, ein ihr 
eigentümliches Bekenntnis aufgesetzt und selten auch noch das Be 
kenntnis einer anderen Kirche angenommen. Und da das Ver 
weigern der Unterschrift oder des Eides auf das Glaubensbekennt 
nis in keinem reformierten Lande bürgerliche Nachteile zur 
Folge hat, so ist ja niemand gezwungen, dieses oder jenes Glau 
bensbekenntnis anzunehmen. Alles Anerkennen, was überhaupt — 
die englische Staatskirche ausgenommen, die hier wieder lutheri 
schen Geist zeigt — nur von den Lehrern der Kirche ge 
fordert wird, beruht auf freiem Entschlüsse; denn will man dieses 
nicht, so kann man freilich in derjenigen Kirche nicht Lehrer blei 
ben wollen, mit deren Glauben man nicht übereinstimmt, oder 
man kann ja in jede andere beliebige reformierte Kirche oder 
Sekte übertreten, unter denen einige sogar ohne alles Bekenntnis 
sind. Eine Unterschrift des Glaubensbekenntnisses mit quatemis 
(„in wiefern — nicht weil — es mit der heiligen Schrift 
übereinstimmt") ist in der reformierten Kirche unerhört und wäre 
ja auch in ihr nur eine leere und unwahre Formalität^). Aus 
dieser entschiedenen Anerkennung der alleinigen Autorität der hei 
ligen Schrift läßt sich erklären, warum die durch Farel reformierte 
Neuenburger Kirche, vorzüglich in Folge seines Widerstandes, 
nie ein anderes Symbol neben der heiligen Schrift anerkannt hat, 
warum jetzt noch viele Sekten gar kein Symbol haben, warum 
das Bekenntnis der Quäker und anderer Sekten in lauter Bibel 
sprüchen besteht, warum sich die schottische Nationalkirche aus 
drücklich entschuldigt, daß sie das „nicht kanonische" apostolische 
Shmbolum in ihren Katechismus aufgenommen habe, warum sich 
stets in der reformierten Kirche eine große Unlust zum Aufsetzen 
von Glaubensbekentnissen gezeigt £>at 8 ), warum sich zur Zeit 
des Unglaubens die Holländische Staatskirche, die Pfälzische Kirche 
und die reformierte Niedersächsische Synode von allen Glaubens 
bekenntnissen haben lossagen dürfen, und warum endlich 
in der reformierten Kirche niemals die Bekenntnisschriften diese 
außerordentliche Wichtigkeit und diesen die ganze Ausbildung der 
Kirche und der Theologie bedingenden und durchdringenden Ein 
fluß erhalten haben, welchen wir in der lutherischen Kirche fin 
den, weshalb sogar ein Lutheraner (Augusti) den Refor 
mierten ihre eigenen, von ihnen fast vergessenen und seit 170 Jah 
ren nicht edierten Bekenntnisschriften hat herausgeben müssen. 
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0 Vortrefflich spricht dieses aus Gaussen (Vorrede zur Helvetischen Kon 
fession, Genf 1819): „nos eglises ne disent point aux docteurs; croyez; 
mais elles leur disent: croyez vous?“ und: „Glaube nicht der Autorität 
irgend eines Menschen, irgend einer Geistlichkeit, einer Kirche, eines Resormators. 
Hinweg, völlig hinweg mit ihren Glaubensbekenntnissen und allen Zeugnissen 
ihrer Märtyrer, sobald man daraus eine Richtschnur dessen macht, was geglaubt 
werden muß, und nicht blos den einfachen, ehrlichen Ausdruck dessen, was man 
bereits glaubt." 
0 Die Züricher klagen schon 1637: „Es nimmt mit dem Bekennen und 
Unterschreiben gar kein Ende."
	        
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