Full text: Die religiöse Eigentümlichkeit der lutherischen und der reformierten Kirche

61 
weilen bis zum Konzil richten sollten", welches von zwei Katho 
liken und einem Lutheraner verfaßt war, wäre die ganze luthe- 
rische Reformation beinahe ein lächerlicher Schein geworden; denn 
es hatten alle eigentümlich lutherischen Dogmen eine katholische 
Beimischung erhalten, die sieben Sakramente, die Lehre von der 
Transsubstantiation und die ganze Messe mit allen übrigen katho 
lischen Ceremonien wurden wieder eingeführt. In Süddeutschland 
wurde dieses Interim fast überall mit Gewalt eingeführt und die 
widerstrebenden Theologen vertrieben; Brandenburg und die Pfalz 
nahmen es sogleich an, nur die norddeutschen freien Städte ver 
warfen es desto entschiedener. Die Wut des unterdrückten und 
zum Teil von ihren Fürsten verratenen Volkes gegen die papisti 
schen Mi ßbräuche stieg immer mehr, bis endlich nach vier Jahren, nicht 
ein allgemeiner Religionskrieg, sondern der glückliche Handstreich 
des zweideutigen Moritz von Sachsen der lutherischen Kirche die 
politische Berechtigung im deutschen Reiche gab, deren sie 
sich, nachdem der Versuch Oesterreichs, sie ihr wieder zu nehmen, 
im dreißigjährigen Kriege durch Dänemark vergeblich, durch Schwe- 
den glücklich, jedoch ohne bedeutende Teilnahme Sachsens und des 
lutherischen Volkes zurückgewiesen worden ist, noch erfreut. 
Wir verlassen wieder die lutherische Kirche, nachdem wir ihr 
eigentümliches Reformationsverfahren zu erkennen gesucht haben. 
Mit dem Jahre 1555 ist für sie die Reformation völlig abgeschlossen; 
alle Lebensäußerung in ihr beschränkt sich von da an gänzlich auf 
ihre innerliche Ausbildung; ihre verbreitende TN 
tigkeit nach außen besteht nur in ununterbrochener, trauriger und 
fruchtloser Polemik, vorzüglich gegen die verhaßten Reformierten. 
Uebrigens breitete sie sich von da an nicht nur keineswegs weiter 
aus, verlor vielmehr, vorzüglich gegen die reformierte Kirche, be 
deutend an Terrain, indem nicht nur alle westlich von Deutschland 
entstandenen reformierten Kirchen, die einst zum Teil von damals 
noch sogenannten Lutheranern gestiftet waren, sich entschieden von 
der lutherischen Kirche lossagten und sich zu Zwingli's und Cal 
vin's Prinzip und Verfahren bekannten, sondern indem die Refor 
mierten sogar von da aus offensiv östlich vordrangen und Jülich- 
Cleve-Berg, Pfalz, Nassau, Hessen-Cassel, Lippe, Ostsriesland, 
Bremen, Anhalt, Brandenburg (hier nur das herrschende Haus, 
nicht das Land) den Lutheranern ganz oder teilweise abwendig 
machten. Und, gerade von der Zeit an, wo die lutherische Re 
formation in ihrem allmählichen Fortgange stille stand, entfaltete 
die reformierte Kirche, vorzüglich nachdem sie durch Calvin's kräf 
tiges Wirken und tiefe Frömmigkeit einen kernhaften Ausgangs 
punkt und eine innerlich und äußerlich vollendetere Gestalt empfan 
gen hatte, eine so große Fülle von Kraft und Regsamkeit, daß weder 
die heftigste und festeste Opposition der mächtigsten Könige Europas, 
noch die äußersten Anstrengungen des Papsttums die vollkommene 
Ausbildung und unaufhörliche Ausbreitung der reformierten Kirche 
verhindern konnte. Daher hat sich in allen jenen Ländern die re 
formierte Kirche, während sie unablässig der lutherischen die Bru 
derhand bot, in ungeschwächter Opposition gegen das Papsttum
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.