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erhalten. Unter allen diesen Kämpfen gegen die katholische Kirche,
die in Frankreich und Belgien eine große Bedeutung gewonnen
haben, blieb das Prinzip der Beweglichkeit in ihr immer
noch so kräftig, daß sie sich, ohne unterzugehen, bis zum äußersten
Extrem in unzählige kleine Sekten spalten konnte, die, weil sie alle
auf demselben Grunde der alleinigen Autorität der heiligen Schrift
stehen, allmählich einander anerkennen, einander lieben und sogar,
sobald es die Verbreitung der heiligen
Schrift und des Evangeliums gilt, zu heili-
geni Zweck sich vereinigen lernen. Dies der allgemeine Blick auf
das Reformationsverfahren der reformierten Kirche. Gehen wir
näher aus dasselbe ein.
Gegen die katholische Kirche verhielten sich die Reformierten
durchaus negativ, sie verneinten mit schneidender Konsequenz
durchaus alles, was sich in ihr Unbiblisches fand, und suchten die
selbe, als ihren erklärten Feind, gänzlich zu zerstören, um reines
Feld zu bekommen zur Aufbauung einer in alter Einfachheit nach
dem Vorbilde der heiligen Schrift wiederhergestellten biblisch-
apostolischen Kirche. Dazu reichte natürlich ein allmähliches
Ausbessern und Umbilden nicht hin; es mußte, da die Kirche sich
solchem Ansinnen einer radikalen Erneuerung widersetzte,
gewaltsam verfahren werden, was, sobald die katholische
Kirche mit ihrer äußerlichen Uebermacht eine Reaktion versuchte,
in eine Revolution ausartete. Diese religiöse, radikale Re
volution hätte, politischen Revolutionen gleich, höchst gefährlich wer
den können, wenn sie eigensüchtige, fleischliche Zwecke gehabt und
sich nicht gebeugt hatte unter die absolut bindende Autorität des
göttlichen Wortes, welchem in Glauben und Wandel der pünktlich
ste Gehorsam geleistet werden mußte. Hierdurch erklärt sich leicht,
warum das reformierte Reformationsverfahren auf der einen Seite,
weil man es nicht v e r st a n d oder nicht v er
st e h e n w o l l t e, als U l t r a r e f o r m a t i o n und
Schwärmerei, auf der andern Seite als bloße Ver
neinung alles Positiven erscheinen mußte, während es doch auf
der n ü ch t e r n st e n U e b e r l e g u n g, auf der st r e n g st e n
Verstandeskonsequenz und auf der entschie
de n sie n Bejahung der Wahrheit des Wor
tes Gottes beruht.
Weil das Papsttum dieser Wahrheit seine Lüge feindlich
entgegenstellte, entzündete sich in dem Herzen der reformierten
Christen dieser glühende, leidenschaftliche Haß, der sie nötigte, ein
für allemal gänzlich mit dem Papsttum zu brechen, die entschie
denste Opposition gegen dasselbe in einem Kampfe auf Tod und
Leben zu ergreifen — und in diesem Kampfe haben sie gesiegt.
Zwar suchte man sie oft mit äußerlicher Gewalt zu unterdrücken,
und Unzählige mußten von der Wut der Papisten angezündete
Scheiterhaufen besteigen. Zwar mußten sie sehen, wie König und
Papst triumphierten über das Blutbad der Pariser Bluthochzeit,
welche den furchtbarsten Greueln wider sie die Krone' aufsetzte;
zwar mußten die Niederlande Alba mit seiner blutdürstigen In-