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her verhandelte er mit Bucer, Capitv und Haller unter andern
wichtigen Fragen, die damals die Gelehrten und das Volk be
schäftigten, auch die über die Abschaffung des mosaischen Gesetzes:
„da die Propheten ein vollkommneres Gesetz versprochen
und Paulus sagt: die Begierde sei größer als das Gesetz, so hat
Christus auch die zehn Gebote aufgehoben und die Menschen vom
Joch dieses Gesetzes, wie vom Zeremoniendienst frei gemacht, in
dem er ihnen vom Vater den Geist verheißen hat, durch den sie
getrieben werden, als Gottes Kinder die Ehre des Vaters zu
befördern und ihm durch ihr frommes Leben Dank zu sagen."
„Gegen alle Verirrungen stellte er als das stärkste Schutz- und
Heilmittel auf: Gott ist die Liebe, und das Ziel seiner Gebote ist
Liebe, der alles sich unterwerfen muß. Auf diesem Wege
wird der Mensch, ohne zu irren, allen alles werden." Doch Farcl
änderte selbst später insofern seine Meinung, daß er sich selbst auf
die zehn Gebote berief und sie in die Genfer Konfession aufnahm,
welche aber viele Genfer darum nicht unterschreiben wollten, „weil
sie dieselben doch nicht halten könnten." Also forderten we
nigstens die Genfer Reformatoren auf das Bestimmteste völlige
Beobachtung des Gesetzes. Und es liegt also nur ein scheinbarer
Antinomismus (Gesetzlosigkeit) in Farels Worten. Noch weniger
aber kann man Calvin wegen seiner Prädcstinatisiationslehre ben
Vorwurf machen, daß er durch dieselbe Zuchtlosigkeit und ungesetz
liche Frechheit gepredigt und dadurch dem Fleisch einen Vorwand
zur Sünde und zur Trägheit gegeben habe. Freilich hat man ihm
diesen Vorwurf häufig gemacht, und es läßt sich allerdings nicht
leugnen, daß seine Erwählungslehre von einzelnen Refor
mierten, nie aber von der Kirche selbst, aufs abscheulichste gemiß
braucht und verdreht worden ist, wodurch die reformierte Kirche
und besonders auch diese Lehre selbst einen häßlichen Flecken be
kommen hat. Und doch bezeugen alle Schriften Calvins, doch be
zeugen sein ganzes Reformationsverfahren und sein ganzer Cha
rakter, doch bezeugen alle unparteiischen Geschichtschreiber, daß er
gerade in hohem Grade sittlich streng gewesen sei. Calvin
sagt (Institutio II, 7) vom Moralgesetz: „Es gibt nicht mehrere,
sondern nur eine, ewige, unveränderliche Regel für unser Leben.
Wenn daher David sagt, daß der Gerechte sein ganzes Leben in
der Betrachtung des Gesetzes zubringt, so laßt uns das nicht nur
auf eine Zeit beschränken, da es den einzelnen Lebensaltern am
Ende der Welt ebenso zukommt . . Das Gesetz zeigt in der Voll
kommenheit, zu welcher es auffordert, das Ziel, welchem in unserm
ganzen Leben entgegenzulaufen, nicht nur nützlich, sondern auch
schriftgemäß ist; und es ist gut, wenn wir in diesem Laufe nicht
laß werden. Denn die Laufbahn ist unser ganzes Leben, nach
deren Durchlaufung der Herr verleihen ivird, daß wir das Ziel,
nach welchem unser Streben jetzt noch von weitem geht, erreichen.
Daher bleibt durch Christum unverletzt die Gesetzeslehrc, welche
uns lehrend und ermahnend, strafend und bessernd zu jedem guten
Werk bildet und bereitet. . . Indessen bleibt das Wort unverbrüch
lich, daß dem Ansehen des Gesetzes nichts genommen ist, sondern