Full text: Die religiöse Eigentümlichkeit der lutherischen und der reformierten Kirche

?0 
hat ihn häufig deshalb getadelt, aber sehr mit Unrecht. Er hatte 
vollkommen das Recht dazu, denn er war gegen sich selbst ebenso 
streng, unterwarf sich selbst ebenso unbedingt dem Worte Gottes 
wie seine Gemeinde. Angst und Zittern überfiel ihn, als ihn Farel 
1536 im Namen Gottes wie ein Prophet beschwor, in Gells zll 
bleiben; er mußte gegen seine Neigung dem Rufe G o t- 
t e s gehorchen. Aber nun verlangte er auch mit der Strenge eines 
römischen Zensors, oder besser mit dem Eifer eines gottgesandten 
Propheten, denselben unbedingten Gehorsam gegen Gottes Wort 
von der ihm anvertrauten Gemeinde. Schon hatte der Rat auf 
Farels Verlangen durch öffentliche Gesetze Hazardspiele, Fluchen, 
Lästern, Tanzen, Singen unzüchtiger Lieder und Verkleidungen 
verboten; Calvin führte mit Hülfe des Rats eine noch strengere 
Sitteneinrichtnng nach Gottes Wort ein und ließ dieselbe von 
dem ganzen Volke beschwören. So wie er nun aufs Entschiedenste 
seinen Gemeinden nichts Unbiblisches aufdringen lassen wollte, 
z. B. die Taufsteine, die Oblaten beim Abcndmahle, die Festtage, 
die nicht auf den Sonntag fallen, so verlangte er als ein göttli 
ches Gesetz vollkommene Beobachtung aller Ge 
bote C h r i st i und seiner A p o st e l. Der Rat strafte 
nach 1. Petrus 3,5 die Haarflechten einer Braut an deren Putz 
macherin, Mutter und Freundin; ein Ehebrecher ward aus dem 
früher so sittenlosen Genf verbannt, ein Hurer von seinem höchsten 
Amt entsetzt. Und als nun das zügellose Volk, vorzüglich die sog. 
Libertins, dennoch nicht Folge leisten wollten, „da brannte und 
marterte die Prediger heftig die Sorge, daß Unwürdige, Ungläu 
bige zum Abendmahl sich nahten," und sie mußten daher, als die 
ganze Stadt in großer Verwirrung war, von ihrer Pflicht ge 
drungen, 1538 das Abendmahl verweigern und ließen sich freudig 
deshalb verbannen. Zwar gahen sie nachher wohl zu, daß sie für 
ihre Person zu weit gegangen seien, verlangten darum aber 
auch nicht nur strenge Disziplin und den Kirchenbann, sondern 
auch K i r ch e n ä l t e st e zu deren Ausübung, in Gemeinschaft 
mit ihnen. Genf war verwaist und rief nach drei Jahren Calvin 
reuig von Straßburg zurück. Er wollte nicht und schauderte bei 
dem Gedanken an die Rückkehr. Da überfiel ihn nochmals Angst 
und Zittern, als man von allen Seiten und besonders Farel wie 
der im Namen Gottes ihn beschwor, dem flehenden Rufe der Gen 
fer zu folgen. In Gottes Willen ergeben, aber mit schwer be 
klommenem Herzen, kehrte er 1541 zurück, nachdem die ganze 
Stadt den vollkommensten Gehorsam gegen 
das Wort Gott; es feierlich gelpbt hatt e", 
und begann nun das Werk einer durchgreifenden Reformation init 
solcher Kraft, daß dem sittenlosen und entarteten Genf schnell das 
Gepräge biblischer Sittenreinheit und christlicher Einfalt gegeben 
wurde, das drei Jahrhunderte noch lange nicht haben verwischen 
können. Schon Farel, der doch in Neuenburg ähnlich wirkte, war 
nach nur fünfzehnjähriger Abwesenheit ganz hingerissen von dem 
Anblick der gänzlichen Umwandlung Genfs. „Neulich, schreibt er, 
war ich in Genf, und noch nie hat es mir dort so wohl gefallen,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.