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fleufiere Erscheinung.
Vergleichen wir nun die beiden auf verschiedenem Boden,
nach verschiedenen Grundsätzen und unter verschiedenem
R e f o r m a t i o-u sverfahren entstandenen, protestantischen
Kirchen, sowohl nach ihrer äußeren Erschein u n g, als
nach ihrem i n n e r ft e n Lebenssaft, sowohl nach ihrer
geschichtlichen Entwicklung, als nach- ihrem V e r-
h ä l t n i s zu e i n n n b c r, so werden wir auch hier die wich
tigsten Differenzen entdecken, welche aber alle auf’s genauste mit den
ursprünglichen zusammenhängen nnd aus ihnen sich leicht erklären
lassen.
Die lutherische Kirche gleicht ihrer äußeren Erschei-
n u n g nach in ihrem Verhältnis zur katholischen Kirche, aus wel
cher sie entstanden ist, einem kräftigen Stamme, dem man alle
verwilderten Aeste genommen und dagegen ein edles Reis (die
Lehre von der Glaubensgerechtigkeit) eingepfropft hat, dessen An
gemessenheit zu diese m Stamme aus der Beschaffenheit der
Wurzel (aus der heiligen Schrift) und des Stammes selbst (der
ursprünglichen Geschichte) nachgewiesen werden kann. So erscheint
denn die lutherische Kirche, gleichsam eine veredelte katholische
Kirche, ebenso wie diese als eine, ganze, wohlgeordnete
und f e st z u s a m m enhäugende Kirche, die alle aus dem
Stamm hervorbrechenden, wilden Nebenreiser (Ketzereien) scho
nungslos abschneidet und alle schädlichen Auswüchse des eignen
Reises (Sekten) entweder durch kräftige Reaktion abschneidet, oder
wenigstens durchs Mitteilung des innersten Lebenssaftes sich amal-
gamiert nnb unter dem Einfluß ihres Wachstums erhält. Die re
formierte Kirche hat dagegen dem verwilderten Baum der katho
lischen Kirche nicht nur die Zweige gestutzt, sondern auch den
Stamm selbst bis auf die Wurzel abgehauen. Nun konnte aber
auch garnicht mehr e i n einzelner, kräftiger H a u p t st a m m neu
emporwachsen, sondern es bildete sich von der gesunden Wurzel
(der heiligen Schrift) aus ein vielfaches, üppig in die
Breite wachsendes Strauchwerk von vielen gleichartigen
Zweigen, wo jeder Zweig neben dem andern bestehen kann, so
lange er nur in ungestörtem Zusammenhang mit der Wurzel und
in sich selbst gesund bleibt. Das Absterben einzelner Schößlinge
schadet auch nicht viel, da die andern dann nur desto reichlichere
Nahrung erhalten. Dies das Bild der in unzählige größere Kir
chen und kleinere Sekten gespaltenen reformierten Kirche, deren
einzelne Teile nur für stete Schriftgemäßheit zu sorgen haben, um
ihres fröhlichen Gedeihens versichert zu sein. Von diesem allge
meinen Gesichtspunkte aus müssen wir die beiden Kirchen n a ch
ihrer äußern Erscheinung spezieller ins Auge zu
fassen suchen.
Luther und Melanchthon haben nie vergessen, wieviel sie der
römisch-katholischen Kirche, obschon diese sie von sich ausstieß, zu