Full text: Die religiöse Eigentümlichkeit der lutherischen und der reformierten Kirche

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Achtungen, Sie wollten zunächst, wie die meisten reformierten 
Sekten, nach dem Neuen Testamente eine vollkommen neue 
christliche Gemeinschaft stiften, die nur wahre Mitglieder habe und 
zur Welt und zu allem Weltlichen, also auch zum Staat und zur 
Obrigkeit, in gar keinem Verhältnis, höchstens in dein eines lei 
denden Gehorsams stehe. Dieser Grundsatz, nach verschiedenen 
Seiten hin konsequent durchgeführt, hat zur Entstehung aller ver 
schiedenen wiedertäuferischen und taufgesinnten Sekten nach ihren 
verschiedenen Arten Anlaß gegeben. Es steht nun einmal im 
Neuen Testamente nichts von der Kindertaufe, und es läßt sich 
wirklich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nachweisen, daß die 
Apostel nicht Kinder getauft haben. Kann man es nun den Ana 
baptisten übel nehmen, wenn sie ihrem Grundsatz ge 
mäß einen nicht apostolischen und ihrer Meinung nach dem Ge 
bote C h r i st i (Math, 28, 19) w i d e r s p r e ch enden G c- 
brauch nicht zulassen? Und kann es uns noch unbegreiflich- er 
scheinen, daß fast überall in der reformierten Kirche und fast 311 
jeder Zeit, ja in neuerer Zeit sogar auch wieder in der lutheri 
schen Kirche, entschiedene Gegner der Kindertaufe aufgetreten sind? 
— Auch Zwingli verwarf noch 1523 alles Zinsennehmen 
als verboten (nach 5. Mose 23, 19); die Wiedertäufer folgten 
ihm hierin und blieben fest dabei und erklärten auch, wieder nach 
Zwinglis Vorgang, der sich dabei auf das Neue Testament be 
rief, den Zehnten an die Geistlichkeit und Obrigkeit für sünd- 
lichen Mißbrauch, Sie sagen ferner: der wahre Ehrist darf sich 
nicht selbst rächen und das Schwert nicht brauchen, also weder der 
ei n z e l n e Christ mit dem andern rechte n, n o ch i n de n 
Krieg ziehen, noch- als obrigkeitliche Per 
son solches befehlen. Ucberhaupt ist „die Vermischung des welt 
lichen Regiments und der christlichen Kirche" unrecht. „Sie können 
schon darum kein obrigkeitliches Amt verwalten, weil der Wille 
Christi, solches zu verwalten, ihnen gänzlich unbekannt ist," „Der 
Eid ist im Neuen Testament dem Christen unbedingt verboten," 
Dagegen ist aufs deutlichste geboten die Exko m m u n i k a t t'o n, 
und darum hielten die echten Mennoniten an ihr mit der buchstäb 
lichsten Strenge, so daß sie sich lieber sogar von ihren nur etwas 
laxeren Brüdern trennten als gegen Tit, 3, 10; 2, Thess, 3, 6; 
1, Cor, 5, 13 u, 2, Joh, 10 erlaubten, daß Familienglieder mit 
Gebannten aßen oder irgendwie Verkehr hatten. Und wenn man 
die Münsterifchen Greuel, die allerdings von wiedertäuferischen 
Schwärmern angestiftet worden sind, aus dem b i s a u f die 
h ö ch st e Spitze getriebenen Grundsatz der v o l l k o m m e n- 
st e n Schristmäßigkeit erklärt, dann wird man weit eher inniges 
Mitleiden mit den Verblendeten haben, als sie ohne Weiteres ver 
dammen, Es wurde in Münster nach- dem Muster der apostolischen 
Zeit Gütergemeinschaft eingeführt; es wurden alle Bücher ausser 
der heiligen Schrift verbrannt, und der zum König „i n Z i o n" 
erwählte Johann Bockholt, der nun nach alttestamentlichen Grund 
sätzen das Jeremia Kap, 23 uub Ezechiel Kap, 37 geweissagte 
„Reich der Gerechtigkeit" in einer christlichen Theokratie darzustellen
	        
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