Full text: Die religiöse Eigentümlichkeit der lutherischen und der reformierten Kirche

80 
Gliedern gleich, verkümmert und verdorrt sind, läßt ftcf) leicht er 
klären. 
So wie diese Sekten, die Taufgesinnten und die 
Quäker, ihr Augenmerk vorzüglich auf die moralischen, 
kirchlichen und politischen Vorschriften der heiligen 
Schrift richteten, so suchten dagegen die S o c i n i a n e r und 
A r m i n i a n e r jeden nicht biblischen dogmati - 
s ch e n Ausdruck, jede ihrer Meinung nach nur aus der verderb 
ten Tradition der katholischen Kirche herstammende Glaubenslehre 
stuf die biblische Sprache und Einfachheit zurückzuführen. 
Dazu bedurfte es gründlicher Exegese, vermittelst welcher sie auch 
die andern christlichen Kirchen gründliche uub schonungslos an 
griffen. Sehr mit Unrecht hat man oft und lange genug den 
S o c i n i a n e r n ungläubige Verdrehung der heiligen 
Schrift vorgeworfen, ohne zu beachten, daß sie gerade durch das 
Prinzip vollkommener Schriftmäßigkeit, vorzüglich- in der G lau 
de n s l e h r e, zu ihrem eigentümlichen Lehrbegriff gekommen 
sind, und daß man ihnen wohl einseitige Verstandeskonsequenz vor-i 
werfen, sie nicht aber ohne weiteres Rationalisten oder absichtliche 
Schriftvcrdreher nennen kann. „Es ist bereits aus Schriften des 
Socinus erwiesen, daß er von dem Grundsatz ausgegangen ist, 
es gehöre eigentlich durchaus nichts in den e ch t ch r i st l i ch- e n 
Lehrbegriff, was nicht st r e n g biblisch sei; man dürfe 
bei der Auffassung der christlichen Lehre weder rechts noch links 
von den Aussprüchen der Bibel weichen, weder etwas hinzutun 
noch wegnehmen, was auch die Kirche mit ihren Parteien gelehrt 
haben möge und noch lehre." Darum handelt der (Socinianische) 
Rakauische Katechismus im e r st e n Artikel weitläufig von der 
heiligen Schrift. „Die christliche Religion ist der von Gott in der 
heiligen Schrift, v oir z ü g l i-ch im Neuen Testament, 
geoffenbarte Weg, das ewige Leben zu erlangen"; die heilige Schrift 
ist allein glaubwürdig und hinreichend, um aus ihr den Glauben 
an Christum und den Gehorsam gegen seine Gebote kennen zu 
lernen"; „der Mensch kann ohne Offenbarung gu gar keinem Be 
griff von Religion und von Gott kommen"; „die Apokryphen sind 
nicht Gottes Wort"; „die menschliche Tradition hat keine 
Geltung in Glaubenssachen"; „die katholische Trinitätslehre findet 
sich nicht in der Schrift" ft, „Christus ist wohl Gott, aber nicht 
gleich ewig mit dem Vater." Anfangs wurde noch die Kinder 
taufe als unbiblisch verworfen. 
0 Die unbiülischen Benennungen „Person" und „Trinität" sind nicht nur 
den Sociniancrn und Unitariern, sondern auch vielen Reformierten (z. B. Menken 
und seinen Anhängern, bei denen man übrigens den entschiedensten, festesten 
Glauben an Christus, den Sohn Gottes, findet,) immer anstößig gewesen; selbst 
Calvin und seine Freunde sträubten sich einst heftig gegen die Aufnahme dieser 
Wörter in die Genfer Konfession und gegen die Unterschrift der drei allgemeinen 
Symbole, vorzüglich des Athanasianischcn. Damit verwarfen sie^indessen keines 
wegs den mit jenen Ausdrücke,^ bezeichneten Glaubensinhnlt. Auch Zwingli 
hatte den nnbiblischen Rainen „Sacrament" nicht gerne, und die feinen Tauf 
gesinnten haben in ihrem Bekenntnis absichtlich das Wort „Person" vermieden.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.