Full text: Die religiöse Eigentümlichkeit der lutherischen und der reformierten Kirche

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Kirchenverfassung und des Gottesdienstes einen menschlichen Gesetz 
geber neben der heiligen Schrift anzuerkennen. Die Gemeinde 
ist in kirchlichen Dingen gesetzgebend (autonomisch), aus ihrer 
Mitte gehen die erwählte n Aeltesten und Prediger hervor, 
sie beraten in Synoden, ohne Mitwirkung des Staates, das Wohl 
der Kirche, und der Staat ist nur beaufsichtigende, nicht aber ge 
setzgebende und eingreifende Behörde. Die Independenten 
erkennen auch nicht einmal diese Aufsicht des Staates an und 
außerdem auch gar keinen kirchlichen Verband und vindizie- 
ren die Autonomie nicht der ganzen Kirche, sondern jeder einzelnen 
Gemeinde (Kongregation; daher Kongregationalisten genannt). 
Ihre Prediger sind nicht nur alle untereinander vollkommen gleich, 
sondern auch gar nicht als ein besonderer Stand, als mit einem 
besondern Amte bekleidet, anerkannt, sondern die gewählten Aeltesten 
besorgen, ohne Gehalt, neben ihren weltlichen Geschäften unter 
andern kirchlichen Geschäften auch das Geschäft des Predigend, 
lind außer den Independenten gibt es noch in Schottland und 
in der Schweiz einige presbhterianische Sekten, welche jede, auch 
noch so lose Verbindung mit dem Staat verwerfen und sich z. B. 
lieber separiert, als Ernennung der Prediger durch Patrone, Be 
aufsichtigung und Besoldung durch die Obrigkeit und dergleichen 
geduldet haben und wiederum wöchentliches Abendmahl und beson 
dere Liebesmahle und nur einmalige Heirat ihrer Geistlichen nach 
dem ausdrücklichen Wort und Muster der Schrift fordern. Die 
iibrigen unzähligen Sekten haben sich auch meistens wegen ihres 
Strebens nach der kleinlichsten Biblicitüt oft aus den geringfügig 
sten Ursachen separiert und dann irgend eine einzelne Kleinigkeit 
zu ihrem Losungswort und Kennzeichen gemacht. Eine schottische 
Sekte nennt sich B c r o e n s e r, weil sie (vergl. Apostclgesch. 17, 
11) auf sorgfältiges, tägliches Schriftforschen dringen. Die Jum 
pers oder Springer pflegen vor Freuden zu springen, weil David 
vor der Bundeslade getanzt und Johannes im Mutterleibe gehüpft 
hat. Tindals unrichtige Uebersehung einzelner Stellen der heili 
gen Schrift hat mehrere Sekten veranlaßt. 
Uebrigens darf nicht verschwiegen werden, daß auch andere, 
vorzüglich dogmatische und moralische Differenzen zu Trennungen 
Veranlahung gegeben haben, wie z. B. die unbedingte Gnaden- 
Wahl immer noch ein solcher scheidender Stoff ist, und der Metho 
disten B e k e h r u n g s m e t h o d e sie von der bischöflichen Kir 
che trennte. Doch geben solche Trennungen den beiden Teilen 
nie einen wesentlich neuen und anderen Charakter. Und gerade 
bei den Methodisten, welche man (die lutherische und reformierte 
Eigentümlichkeit abgerechnet) mit dem vollsten Recht mit den luthe 
rischen Pietisten vergleichen kann, zeigt sich auf das Auffallendste, 
wie die bloße Differenz in Bezug auf christlich-psychologische Me 
thode, sobald sie nicht unmittelbar aus der heiligen Schrift 
entstanden ist, in der reformierten Kirche keine Trennung ver 
anlassen kann. Denn die Methodisten haben, ebensowenig loie die 
Pietisten, sich niemals als von der großen Kirche getrennte Sekte 
oder Partei konstituieren wollen, sondern nur ihre eigene erstor
	        
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