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bene Kirche mit Liebe neu zu beleben und zu regenerieren gesucht.
Aber auch hier bewährte die englische Kirche wieder ihren
lutherischen Charakter, indem sie diese ecclesiolae in ecclesia und
diese neue Methode eines strengern Lebens und großem
Eifers nicht in ihrer Mitte duldete, sondern die Methodisten aus
stieß oder sie wenigstens stets mit Argwohn und Mißtrauen be
handelte.
So wie die lutherische Kirche in ihrer äußern Erscheinung
das monarchische Prinzip der Einheit und der Einschränkung, die
reformierte dagegen das republikanische Prinzip der Mannigfal
tigkeit und der Freiheit repräsentiert, so finden wir auch, daß nach
einer andern Seite hin das moderate und das radikale Reformati
onsverfahren der einen Kirche eine monarchische, der andern eine
republikanische Gestalt gegeben hat. Wir meinen das Verhältnis
der Geistlichen zum Laien. In der lutherischen Kirche kam es
wohl bis zur Freiheit vom päpstlichen Joch und bis zur Gewissens
freiheit, aber nicht bis zur völligen Emanzipation des einzelnen
Laien von der Vormundschaft des Geistlichen. Zwar hatte Luther-
selbst gegen die Papisten den Laien den ihnen im Neuen Testa
ment aufs bestimmteste zuerkannten priesterlichen Charakter ent
schieden vindiziert, aber er führte, nachdem er durch die Ausschwei
fungen Carlstadts, der Zwickauer, der Bauern und der Münsterer
scheu gemacht worden, diesen siegreich behaupteten Satz in praxi
nicht konsequent durch. Daher wurde der lutherische Pastor durch
das beibehaltene Beichtvaterverhältnis, - wonach er d e m ein
zelnen B e i ch t k i n d e im Namen Gottes Sün
denvergebung erteilt, und durch die heilige Handlung der
Konsekrierung der Elemente zum sakramentlichen Gebrauch
aufs bestimmteste unterschieden und geschieden vom Laien als ein
Organ, durch welches Gott der Gemeinde seine Gnade erteilt.
Der geistliche Stand wurde daher immer noch als mit einem hei
ligen und Hähern Charakter bekleidet angesehen und mit Scheu
und Ehrfurcht behandelt, so daß mancher nicht genug belehrte Lu
theraner, da auch die besondere Standeskleidung, der katholische
Ornat, im wesentlichen blieb, zwischen seinem jetzigen Geistlichen
und dem zwischen Gott und ihm vermittelnden und stellvertretenden,
katholischen Priester wenig äußerlichen Unterschied entdecken
konnte. Denn das hierarchische Interesse, der Priesterstolz und der
theologische. Zunftgeist blieben auch nicht lange aus, wie denn
auch die alten Unterschiede unter den Geistlichen selbst (Diakon,
Archidiakon, Pastor, Konsist on alrat, Superintendent und General
superintendent, in Preußen, Dänemark, Schweden und England
auch der Bischofstitel mit mehr oder weniger bischöflicher Gewalt)
und die theologischen Doktorwürden und Fakultätsvorrechte dem
Namen und zum Teil auch der Sache nach beibehalten wurden.
Die reformierte Kirche konnte ihres radikalen Schriftprinzips wegen
nichts derartiges beibehalten. Sie sprach zunächst alsbald nach den
deutlichen Aussprüchen der heiligen Schrift v o l l k o m m e n glei
chen Rang und Würde aller Geistlichen untereinander aus, sodaß
es durchaus unreformiert ist, wenn der eine Geistliche an dersel-