Full text: Die religiöse Eigentümlichkeit der lutherischen und der reformierten Kirche

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Ben Gemeinde eine irgendwie untergeordnete Stellung neBen 
dem andern hat, oder wenn nur der eine Geistliche alleiniger Pastor 
ist und allein die Hauptpredigt zu halten hat, wie tu der luther 
ischen Kirche immer noch der Fall ist. Die Reformierten schafften 
sogar im Anfange auch alle akademischen Würden aB, und am 
Rheine hatte noch manches Gemeindeglied ein entschiede 
nes Vorurteil oder wenigstens eine gänzliche Nichtachtung gegen 
die philosophische oder theologische Doktorwürde, wie auch gegen 
alle mehr weltlichen Titel und Orden, während Bis in das vorige 
Jahrhundert hinein in Sachsen (und ähnlich in Württemberg) je 
der Geistliche maxister philosophiae fein mußte, welcher daun von 
seinem Gemeindeglied nicht Diakonus oder P a st o r, sondern 
M a g i st e r und Doktor genannt wird, wogegen z. 23. am 
Rhein der Konsistorialrat und Superintendent von seinen Gemein 
degliedern immer doch nur Pastor genannt wird. 
Die Universität Basel hatte gleich nach der Reformation allen 
akademischen Pomp und die Doktorwürde gänzlich aBgeschafft. 
Carlstadt, der früher ganz konsequent in Orlamünde alle Zeichen 
des geistlichen Standes abgelegt und sich nur noch Laienrechte 
zugeschrieben hatte, Betrieb später in Basel eifrig die Wiederein 
führung der auch von ihm abgelegten Doktorwürde. Mykonius 
sträubte sich, mit Berufung auf Oekolampadius und Capito, aufs 
entschiedenste dagegen, weil die Annahme der Doktorwürde gegen 
sein Gewissen sei. Die Züricher zollten ihm deshalb so entschiede 
nen Beifall, das; Carlstadt sich gegen sie förmlich darüber rechtfer 
tigen mußte, daß er von neuem die Doktorwürde angenommen 
habe. „In der Kirche muß man nicht nach heidnischem oder päpst 
lichem Pomp handeln. Die Berufung, Wahl, Auflegung der Hände 
ohne allen Stolz und Pracht in Anwesenheit der bittenden Ge 
meinde schickt sich für einen Theologen," schrieb Bullinger an My 
konius, der auch durchaus nicht nachgab, sondern lieber seine Stelle 
niederlegen wollte. „Den Frommen seien solche Titel verhaßt;" 
„die Christlichsten würden ihn nicht mehr hören wollen." Grhnäus 
und Oporinus wollten lieber ihr Amt verlieren, als die Doktor 
würde annehmen, und als Weissenburg (jedoch mit der b i b l i- 
) ch e n Zeremonie der Handauflegung) zum Doktor creirt war, 
blieb ihm seine Gemeinde aus der Kirche. 
Ebenso wurde von Anfang an in der reformierten Kirche nach 
dem Vorbilde der heiligen Schrift und der apostolischen Zeit die 
vollkommene Gleichheit aller wahren Christen ausgesprochen und 
konsequent durchgeführt. Alle Gedanken au eine besondere Heiligkeit 
des geistlichen Standes wurden sogar auch äußerlich durch gänzliche 
.Entfernung aller besonderen Kleidung beseitigt, und überhaupt ln 
Kultus und Leben dem Geistlichen keine besondere W ü r d e nnd 
kein priesterlicher Charakter, sondern nur ein besonderes 
A m t zuerkannt. Ja sogar die bei den Lutheranern herrschenden 
Benennungen: Geistlicher und Laie, sind dem Reformierten fremd 
unb unangenehm. Bei ihm heißt es entweder Prediger und Ge 
meinde, oder Prediger und Aeltesten, oder Theologen und Nicht 
theologen. Die Geistlichen hielten es für ihre alleinige und höchste
	        
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