Full text: Das weibliche Unterrichtswesen in Frankreich

272 
Beilage I. 
Das ist wohl möglich, sagte der andere, er schlich immer 
bei dem Hause der alten Minette herum. 
Wenn er den Schlag gethan hat, sagte ein dritter, so mufs 
er Blutflecke auf seinem Kleide haben. Wir werden ja sehen. 
Mehr war nicht nötig, um die Phantasie Jeannettens in 
Bewegung zu setzen. 
Man wird nichts sehen, sagte sie, er hat seine Kleider im 
Bache gewaschen; das Wasser war ganz rot; ich habe ihn ge 
sehen, als ich aus der Schule kam. 
Es war eine Lüge, Jeannette hatte nichts gesehen. Aber 
ihre Worte wurden aufgegriffen und den Gendarmen iiber- 
bracht. Unglücklicherweise fand man in der Wohnimg Car- 
rousets ein Paket mit ganz durchnäfsten Kleidern. Das ge 
nügte. Carrouset war ein schlechtes Subjekt, ein Taugenichts, 
Landstreicher und Händelsucher. Die Gendarmen nahmen das 
Paket und führten den Mann mit sich, trotz der Beteuerungen 
seiner Unschuld. 
Jeannette bereute bald, was sie gethan; sie dachte Tag 
und Nacht an diesen Menschen, den man, mit Handeisen ge 
fesselt, ins Gefängnis geführt hatte. Es war ihr leicht, das 
Übel, welches sie angerichtet, zum Teil wieder gut zu machen, 
wenn sie alles gestand. Eine falsche Scham hielt sie zurück. 
Eines Morgens empfing ihr Vater Befehl, sie vor den 
Untersuchungsrichter zu führen. Jeannette hatte Furcht und 
war nahe daran, alles zu gestehen. Die falsche Scham hielt 
sie noch zurück. 
Vor dem Untersuchungsrichter wiederholte sie alles, was 
sie an dem Tage des Mordes gesagt hatte; aber ihre Stimme 
zitterte dabei. Der Beamte bemerkte es, und weil man nicht 
viel andere belastende Thatsachen gegen Carrouset gefunden 
hatte, sah er sie scharf an und sprach: 
Achte wohl auf das, was du gesagt hast, mein Kind. Ist 
es wirklich wahr, was du erzählst? Ist es keine Erfindung? 
Du weifst, man darf niemals lügen, besonders nicht vor Gericht, 
sage mir die Wahrheit, die ganze Wahrheit, nichts als die 
Wahrheit. 
Bei diesen ernsten Worten begriff Jeannette die ganze 
Gröfse ihres Fehlers, sie fürchtete sich vor dem Unheil, das sie 
gestiftet hatte und das sie noch stiften konnte. Sie schluchzte 
und errötete.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.