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Man darf auf dieses Wort Goethes um so eher
abheben, als er mit dem ganzen unnachsichtigen Frei
mut, von dem er sich immer leiten ließ, wenn er von
den großen Dingen, von Völkern und Religionen sprach,
auch das jüdische Volk in den Kreis seiner scharfen
Kritik stellte; er hat mit solcher niemals gezögert, am
allerwenigsten auch seinem eigenen Volke gegenüber,
weshalb man ja in völkischen Kreisen den Wei
maraner in den großen Topf der Kosmopoliten und
Internationalen wirft.
Um so schwerer wiegt es, wenn Goethe mit Weit-
und Tiefblick das rassisch und ethnisch
Stationäre im jüdischen Volke nachdrücklich und
fast bewundernd hervorhebt.
Bischof v. Ketteler von Mainz gehört zu den
großen Katholiken aus großer Zeit. Kulturpolitisch ist
der ebenso vornehme wie streitbare Kirchenmann be
deutsam, indem er früh für eine gerechte, ausgleichende
Sozialpolitik mit der ganzen Kraft seiner bedeutenden
schriftstellerischen Fähigkeit und dem ganzen Ethos
seines Christentums eintritt. Gerechtigkeit und Sach
lichkeit sind die bestimmenden Tugenden seines Cha
rakters als Schriftsteller und Kirchenmann.
In seiner Schrift „Arbeiterfrage upd Christen
tum" behandelt er die verschiedenen Kulturvölker in
ihrer sittlichen Stellung zum Begriff der Arbeit
und der Arbeiter. Für Griechenland und Rom weist
er nach, wie die Arbeit als unvornehm galt und von
den Sklaven bestritten werden mußte. Das Herren
volk lehnte die Arbeit als etwas Unwürdiges ab.
Ketteler schreibt dann:
„Ganz so stand es um den Arbeiterstand und die Ar
beit bei allen anderen heidnischen Völkern, selbst bei
unseren deutschen Vorfahren. Auch bei den
Germanen war die Arbeit Sache der Sklaven. Auch unsere
germanischen Voreltern verachteten die
Arbeit. Ihre Arbeit war der Krieg, die Jagd und