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niemand gedacht hat. Nicht nur, daß die Idee der
rationellen Bezirksverttetung, die ich in meiner
Schrift in den Vordergrund stellte, Schaden erlitt —
die ganze politische und Parteistruktur wurde in ihrer
geistigen und sittlichen Qualität gemindert.
Das rein Wirtschaftliche in der politischen
Eesamtvertretung wird durch die Listenwahl zu stark
in den Vordergrund gerückt. Bei der Neigung unserer
ganzen Epoche, das Wirtschaftliche überall zum Gene
ralnenner der „Belange" zu machen — und dabei
schimpft man auf der Rechten unentwegt auf den
Materialismus der Sozialisten —, mußte eine solch
grob materialistische Auffassung durch die Listenwahl
geradezu in die Hochpotenz erhoben werden So
sehen wir in allen Parteien das Wirtschaftliche mit
den stärksten Akzenten betont und es kommen Ver
treter in den Reichstag, die nur die Wirtschaft und
ihre „Belange" suchen, die höhere politische Auffassung
und jene geistige Essenz des Parlamentarischen, die
notwendig ist, um der deutschen Volksvertretung
Niveau zu sichern, vermissen lassen.
Außerdem werden die Partei-Völker einem
Parteibonzentum überliefert; die „Maschine" fängt
an zu arbeiten und drängt das Intellektuelle, wie das
Partei-Sittliche in den Hintergrund. Machenschaften
und Vetterleswirtschaft halten ihren Einzug, die Par
teitechniker der Zentrale entscheiden — di e wich
tige geistige Auslese wird unterbun
den. Da ich selbst Mitglied des Reichstags bin,
steht mir eine Kritik seines geistigen Niveaus nicht
zu. Immerhin darf so viel gesagt werden, daß
das Kulturpolitische im weite st en Um
fange — auf das es doch schließlich ankommt —
nur von einer kleinen Minderzahl der Abgeordneten
— in allen Parteien — vertreten wird. D i e
Listenwahl ist die Niederhaltung der