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anderen, Glücklicheren, als infame Proleten angesehen
zu werden, deren gesellschaftliche Berührung den
„Höherstehenden" ein Greuel ist, den man noch dafür,
daß er aus lichtlosen Räumen mit Gefahr seines
Lebens die Schätze der Unterwelt ans Tageslicht
bringt, daß er an Esse und Elutofen seinen Körper
preisgibt, daß er sich der brennenden Hitze des Sommers
und der tödlichen Kälte des Winters aussetzt, daß er
den Schmutz der Straßen zusammenfegt — noch als
Minderwertigen zu betrachten ein Recht habe, dem so
gar bei der Wahl die politische Gleichheit vorzuent
halten sei! Das ist wahrlich nicht Gottes
Wille, das sind Einrichtungen, die der Egoismus der
Menschen geschaffen hat, jene Menschen, die durch Zu
fälligkeiten in den Besitz der Macht gekommen sind.
Gott hat damit nichts zu tun; er läßt es zu, wie so
manches in der Welt. Aber er hat seine Gesinnungen
die Menschen wissen lassen, indem er seinen Sohn
in die Welt sandte, um uns zu verkünden, daß wir
Gottes Kinder sind und Brüder unter
einander. Daraus haben wir die Schlußfolge
rungen zu ziehen.
Wahrlich, nichts hat der christlichen Kirche so ge
schadet und schadet ihr bis auf diesen Tag, daß sie sich
mit vielen ihrer Vertreter kritiklos auf die Seite der
Mächtigen und Besitzenden stellt.
Als ich 1916 in die baltischen Lande reiste und
nicht weit vom Schloß des Barons das evangelische
Pfarrhaus fand, das groß, geräumig, luxuriös ausge
stattet war — es fehlte nicht an Salons und kostbaren
Gemälden —, da wußte ich, daß die Revolution, wenn
sie käme, hier furchtbar hausen würde, wenn ich mir
den Letten in seiner Armut vorstellte neben diesen
Depositionen einer ästhetisch stilisierten Lebenskunst.
Da lernte ich erst begreifen, daß ein so konservativer
und streng evangelischer Mann wie Pantenius in sei
nen kurländischen Romanen und Novellen so scharf