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Als ich im Jahre 1895 in der „Badischen Post",
dem damaligen Organ der Konservativen, schrieb, daß
ich auch den sozialdemokratischen Staat vom sittlichen
Standpunkt aus anerkenne, wenn die Sozialdemo
kratie positiv christlich ist, erregte das einiges Auf
sehen, aber die große Mehrheit der dama
ligen evangelischen und konservative n
Pfarrer st i m in t e mir zu. Das wäre heute
nicht mehr möglich. Die Mehrheit der evan
gelischen und konservativen Pfarrer steht hemmungslos
auf seiten der Macht und des Besitzes. Es ist er
schütternd, wenn man es erleben muß, daß Verkündiger
des Evangeliums zu den Lobrednern und Verteidigern
der Politik der Macht werden. Denn Macht
politik ist es, ob einer Chauvinismus und Waffen
gewalt verteidigt, oder der Vorherrschaft des Besitzes
für Staat und Gesellschaft das Wort redet. Es ist
zum Weinen, wenn man in einem ausgesprochen evan
gelischen Organ, dem „Aufwärts", einen Menschen sich
abmühen sieht, den einfachen Lesern des Blattes bei
zubringen, daß Oswald Spengler als positiver Christ
müsse gewertet werden. Und warum? Weil er
Preußengeist und Schwertglauben preist als das
erlösende Prinzip für Deutschland.
Die Linke sollte sichs reiflich überlegen, ob es
richtig ist, ihren sittlichen und religiösen Relativis
mus zur Unterlage ihrer Kulturpolitik zu machen.
Sie soll die Zeichen der Zeit nicht mißachten. Es geht
eine Welle religiöser Eefühlsauffrischung durch die
Welt, durch Deutschland. Gott ist nicht tot, wie
Nietzsche prophezeite, der publizistische Vertreter der
Idee der Macht —, er lebt und Millionen von Herzen
drängen ihm ahnungsvoll entgegen. Wenn die
Sozialdemokratie christlich wäre — welch eine Macht
könnte sie bedeuten. Auch das schrieb ich vor Jahren
und ein evangelischer Pfarrer aus Preußen schrieb
mir höhnisch: Ei, so machen Sie sie doch christlich.