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aber doch ausgerottet gehören. In diesem Geist ist die
Stellung der Linken zum Reichsschulgesetz getragen,
gemildert und abgetönt nach persönlichen Auffassungen
aus der Einstellung des Herzens oder nach Motiven
der Erziehung und des Herkommens.
Die Religion ist ein Faktor, und zwar der posi
tivste unter allen Faktoren der Kulturbildung. Dies
muß die Linke anerkennen. Dann findet sie
von selbst die rechte Stellung in allen kulturpolitischen
Fragen, auch in der Schulfrage. Sie braucht sich dabei
nur an die Haltung ihrer Gesinnungsgenossen in Eng
land und Amerika zu erinnern; sie braucht sich aber
auch nur der Ergebnisse der voruteilslosen deutschen
Philosophie zu erinnern. Denn wenn ein Kant, der
Philosoph des Kritizismus, an Jung Stilling
schreiben konnte: „Auch darin tun Sie wohl, daß Sie
Ihre einzige Beruhigung im Evangelium suchen, denn
es ist die unversiegbare Quelle aller Wahrheiten, die,
wenn die Vernunft ihr ganzes Feld aus-
gemessenhat, nirgends anders zu finden sind" —,
so dürfen die Liberalen von heute, die Zeuge davon
sind, wie alle Ansprüche der Naturwissenschaft, das
Weltbild zu erklären und das Metaphysische aus
unserm Denken und Erkennen auszuscheiden, endgültig
abgewiesen sind, so viel Toleranz und Erkenntnis
aufbringen, daß es mit der These: „Gott zu lästern
und den Dreck zu preisen" nichts ist und daß es in
einem freien und demokratischen Staat das unver
äußerliche Recht freier Eltern sein muß, ihre Kinder
in positivem Glauben erziehen zu lassen.
DiesefreienElternhabeninDeutsch-
land die Mehrheit. Bis tief in die demokrati
schen und sozialdemokratischen Kreise hinein will man
nicht nur nichts von der religionslosen Schule wissen,
ist man vielmehr dafür, daß eine religiös betonte
Schulerziehung stattfinden soll.