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Es sei nochmals gesagt: die Linke beißt auf
Granit, wenn sie in den Kulturfragen sich auf den
Nihilismus versteift. Die reaktionäre Rechte — in
ihrer Mehrheit religiös-philosophisch nicht anders ein
gestellt wie die Linke — wartet sehnsüchtig auf den
Augenblick, auf der Route via Kultur-(Schul-)Politik
das Zentrum an ihre Seite zu bekommen. Die Rechte
beugt das Knie und schlägt das Kreuz, wenn sie das
Zentrum einfangen kann; Paris ist ihr schon eine
Messe wert.
Die Linke soll sichs wohl überlegen, bevor sie
ihren Relativismus und die Propagierung eines sitt
lichen Nihilismus durch ihre Presse höher schützt, als
eine wahrhaft demokratische und soziale Politik. Ihren
erfahrenen Männern und Frauen kann es nicht an der
Erkenntnis fehlen, daß ein in Zucht und Sitte er
zogenes Volk mehr leistet, als eine im Nihilismus und
Protest gegen alles Ueberlieferte herangereifte Gene
ration. Die Herrschaft eines fessellosen Eros entnervt
die Völker ebensosehr, wie eine marktschreierische
Glaubens- und Kirchenfeindschaft.
Es steht Hohes auf dem Spiel. Versagt die Linke
im Kulturpolitischen, läßt sie außer acht, was ihre
Freunde in England und in den Vereinigten Staaten
charaktervoll betätigen, stürzt sie die demokratische und
soziale Politik in der deutschen Republik in Wirren,
aus denen sie ohne Verletzung ihrer Grundideen schwer
herauskommen kann.