Full text: Der Weg des Zentrums

87 
und dem Laboratorium der Pseudowissenschaftlichk.eit. 
Es war auch natürlich, daß diejenigen Kreise, denen 
man die Hauptschuld an Krieg und Zusammenbruch 
zuschreiben mußte, sich des Antisemitismus am stärksten 
als Ablenkungsmittel bedienten; die chauvinistischen 
und militaristischen Kreise überschlugen sich förmlich in 
antisemitischen Purzelbäumen. Eine besondere Note 
erhielt der deutsche Antisemitismus durch seine rassen 
mäßige Einstellung. Der Antisemitismus der 70er und 
80er Jahre war hauptsächlich ein Protest christlicher 
Kreise gegen Hebelgriffe sog. „jüdischer" Blätter; auch 
ein Protest gegen die Arbeit des wirtschaftlichen 
Manchestertums, das den modernen Kapitalismus ge 
bar, der das Verschwinden zahlreicher Mittelstands 
existenzen bedingte. Waren es dort die „jüdischen" 
Blätter, so war es hier das „jüdische" Kapital, das 
man zum Exponenten unliebsam empfundener Vor 
gänge machte. Man übersah schon damals, daß das 
Attribut „jüdisch" für beide Bekundungen aus dem 
geistigen und wirtschaftlichen Leben keine sachliche, son- 
der-n nur eine zufällige Bedeutung besaß. Nicht 
weil die Presse „jüdisch" war, bekämpfte sie Kirche 
und positives Christentum, es war vielmehr die 
liberale Weltanschauung deutschen Be 
kenntnisses, die solche Stellungnahme bedingte. 
Die Schöpfer und Hauptvertreter der liberalen Welt 
anschauung des Antireligiösen und Antikirchlichen 
waren keine Juden, sondern Christen und Deutsche. 
Zu jenen Schöpfern und Hauptvertretern gesellten sich 
auch Juden. Schon hier zeigt sich die starke Un 
gerechtigkeit auch in Kreisen, die die Pflicht zur Sach 
lichkeit hätten. Die jüdische Bevölkerung stellt doch 
ganz naturgemäß zu -allen geistigen, wirtschaftlichen, 
ästhetischen, wissenschaftlichen, sozial-moralischen Be 
wegungen das natürliche Kontingent ihrer 
Volkszahl. Wenü heute irgendwo 100 000 Deutsche. 
Franzosen, Italiener, Amerikaner beisammen sind, so
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.