Dipsomanie. 53
Status somaticus. Das Gesicht ist blass oder rot. Oft
besteht Oppressionsgefühl, stierer Blick. Schaum vor dem Munde.
Vielfach, doch nicht immer, träge Pupillen; selten Lichtstarre.
Status psych.: Bewusstseinstrübung bis zur Ver-
wirrtheit, von wechselnder Intensität. Heftigste Gewalt-
tätigkeit, meist wahlloser Art, seltener mit Angriffen auf
eine bestimmte Person. Wahnhafte Situationsverkennung.
Einzelne Sinnestäuschungen, besonders des Gesichts, KRat-
losigkeit, Angst, Zorn, Wut; seltener zeitweise gehobene
Stimmung mit expansiven Ideen, Mehrfaches Nachlassen
und Wiederaufflammen der Erregung möglich. Neigung zu
Suizidversuchen. Meist Terminalschlaf. Nachher teil-
weise oder totale Amnesie. — Seltener ein äusserlich
wenig auffälliges Gebahren nach Art eines Dämmer-
zustandes: Trance.
Differentialdiagnostisch ist vor allem zu berück-
sichtigen der gewöhnliche Rausch. Hier erfolgt häufig
Ernüchterung durch aussergewöhnliches Erlebnis. Erinnerung
kann auch hier fehlen. Ausschlaggebend bleibt der Nach-
weis einer krankhaften Grundlage und die Art der Bewusst-
seinstrübung mit dem Bild eines Dämmerzustandes (vgl.
S. 87).
Auch bei Epilepsie und Hysterie schliessen sich die Er-
regungen und Dämmerzustände mit Vorliebe an Alkoholgenuss
an: keine scharfe Grenze gegen den pathologischen Rausch.
Dipsomanie.
Anamnese: Auftreten meist im 3. oder 4. Lebensjahrzehnt,
seltener schon gegen Ende der Pubertät. Fast stets Heredität,
psychopathische Veranlagung (siehe S. 132). Veranlassung zum
ersten Anfall geben oft äussere Schädlichkeiten, wie Trauma, Ge-
mütsbewegungen. Aehnlichkeit der einzelnen Anfälle. In der
Zwischenzeit keine Neigung zum Trinken. Vorboten:
Depression, Angst, Unruhe, Schlaflosigkeit, Menschenscheu, seltener
Beziehungsideen. Gesamtdauer bis zu etwa 14 Tagen.
Somatisch findet sich sehr selten vor Ausbruch Pupillen-
ungleichheit, erschwerte Sprache.
Auf psychischem Gebiet ist charakteristisch der
anfallsartige Zwang zu trinken, der rücksichtslos be-
friedigt wird. Nachher folgt oft Schlaf. Erinnerung kann
fehlen. Dann Reue, Niedergeschlagenheit.
Differentialdiagnostisch ist immer zu denken an
periodisch wiederkehrende Geistesstörungen epileptischer,
hysterischer, manisch-melancholischer Art. Schwere Be-
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