Alkoholpsychosen. nn
Streit, deprimierende Einflüsse, Sorgen, Kummer, das Gefühl der Zu-
rücksetzung, Eifersucht usw., auch ein starker Schreck; sodann .beim
weiblichen Geschlecht die Zeit der Menses, der Gravidität, des
Klimakteriums; bei beiden Geschlechtern sexuelle Exzesse, oft genügt
schon ein einziger Koitus, um den Paroxysmus auszulösen (HErL-
BRONNER). Auch ein leichteres oder schwereres Trauma, das der
Attacke vorausging, ist zu berücksichtigen. Eine weitere Rolle spielen
starke Temperaturdifferenzen, starke körperliche Ueberanstrengung,
geistige Ueberarbeitung, sowie erschöpfende Zustände, das Verweilen
in schlecht ventilierten überfüllten Räumen und anderes mehr.
Die Menge des genossenen Alkohols ist dabei nicht
von besonders ausschlaggebender Wichtigkeit. Oft sind es gar nicht
sehr große Qualitäten geistiger Getränke, welche den Zustand aus-
lösen, auch die Art der genossenen geistigen Getränke scheint nicht
von besonderer Bedeutung zu sein.
Das Einsetzen des pathologischen Rausches ist sehr ver-
schiedenartig. Der Uebergang kann plötzlich und unvermittelt
kommen, er kann sich andeuten durch allmählich immer deutlicher
werdende Verwirrungszustände meist ängstlichen Charakters, die
zum Teil durch das Vorherrschen von Sinnestäuschungen und Wahn-
ideen (MöLıI, ZIEHEN, HEILBRONNER) oder durch Angstaffekte (ZIEHEN,
HEILBRONNER) Charakterisiert sind, zum Teil aber auch sich lediglich
als eine Lockerung des gesamten Assoziationsgefüges und eine ent-
sprechende Ratlosigkeit und Desorientierung darstellen. In seltenen
Fällen geht dem stürmischen Ausbruch des pathologischen Rausches
eine kurze Erschlaffung in Gestalt einer ausgesprochenen Schlaf-
sucht oder direkt eines viertel- bis halbstündigen Schlafes voraus (eigene
Beobachtung). Auch krampfartige Erscheinungen werden als Einleitung
zum pathologischen Rausch erwähnt (pseudo-ivresse convulsive). *)
; Der Zustand seibst spielt sich in sehr verschieden langer Zeit
ab. Meist handelt es sich allerdings nur um Minuten und Viertel-
stunden, selten dauert der Zustand länger als eine Stunde; in den
schweren Fällen ist er häufig durch eine rasch und sicher mit großer
Kraftentfaltung unternommene gewalttätige Handlung (KrArrTt-EBInG)
kompliziert. Ich möchte bei dieser Gelegenheit erwähnen, daß HEIL-
BRONNER bei rein klinisch beobachteten Fällen von pathologischem
Rausch auch eigentümliche Bewegungsstereotypien beobachtet hat und
weiter auch die sehr wichtige Angabe macht, daß ein vom patho-
logischen Rausch Befallener in der Isolierung, also wenn alle Reize
ferngehalten werden, sich in der Regel viel später beruhigt und ein-
schläft als ein Betrunkener. Auch das Ende des Zustandes kann
sehr verschieden sein, meist allerdings erfolgt nach dem Ablauf des
Gewaltaktes ein völliger Zusammenbruch und ein vielstündiger
terminaler Schlaf. Gerade der Nachweis dieser letzten Kr-
scheinung ist diagnostisch von großer Wichtigkeit, denn wir sehen
ja fast täglich, daß, wenn bei einem normalen Rausch etwas Außer-
gewöhnliches passiert, die Beteiligten sofort relativ oder ganz nüchtern
werden. Allerdings wird das Fehlen eines völligen Zusammenbruchs
und des terminalen Schlafes uns durchaus nicht etwa erlauben, das
Vorhandensein eines pathologischen Rausches anzuzweifeln.
Sehr häufig, fast in allen Fällen, wird der in Rede stehende
pathologische. Zustand beeinflußt durch Sinnestäuschungen, wahnhafte
1) Ich möchte dabei, wie HEILBRONNER, bemerken, daß man bei Bewertung dieser
Angaben von Laien vorsichtig sein muß.
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