Full text: Lehrbuch der Psychiatrie

Geistesstörungen bei Arteriosklerose, , 
Gebiet Kopfschmerz und Schwindelanfälle. Der Kopfschmerz 
wird meist in die Stirn lokalisiert, seltener in die Scheitel- und 
Hinterhauptsgegend; oft wird auch nur über ein dumpfes Gefühl des 
Druckes und der Benommenheit geklagt. Die Schwindelanfälle 
treten spontan auf oder nur bei körperlicher Anstrengung, beim 
Stuhlgang, beim Bücken, bei bestimmten Bewegungen. Ferner be- 
stehen Ohrensausen, Flimmern vorden Augen, Ohnmachts- 
anwandlungen, zuweilen auch rasch vorübergehende Be- 
wußtseinsstörungen oder gleichfalls flüchtige Erschwe- 
rungen der Sprache. — Meist besteht dabei schweres Krank- 
heitsgefühl und oft eine chronische Gemütsdepression. 
Diese Fälle zeichnen sich im allgemeinen durch eine sehr große 
Stabilität der Symptome aus; insbesondere bleiben die zuletzt 
erwähnten Depressionszustände oft jahrzehntelang unverändert, 
doch entwickelt sich zuweilen die weiter unten besprochene arterio- 
sklerotische Hirndegeneration aus dem soeben beschriebenen 
Krankheitsbilde. — Die Möglichkeit einer Besserung ist aber vorhanden. 
Die arteriosklerotische Epilepsie, 
die im Anschluß hieran ihre Besprechung finden möge, kennzeichnet 
sich durch ihr Auftreten im späteren Lebensalter als eine 
Epilepsia tarda. Sie tritt bei Individuen, die an ausgesprochener 
Arteriosklerose, meist auch an schwereren Herzstörungen 
leiden, in seltenen oder häufigen Anfällen auf, ohne daß dabei psy- 
chische Ausfallserscheinungen in erheblicherem Grade zu bestehen 
brauchten (ALZHEIMERS kardiovasale Form). 
Die bisher besprochenen Störungen bilden häufig nur die Ein- 
leitung zu den schwereren Formen arteriosklerotischer 
Hirndegeneration, wie sie gleichzeitig von BINSWANGER und 
‚ALZHEIMER studiert und beschrieben worden sind. 
Von den bis jetzt abgegrenzten Varietäten der arteriosklerotischen 
Hirndegeneration nimmt die 
Encephalitis subcorticalis chronica (BINSWANGER) 
in anatomischer und klinischer Beziehung eine besondere Stellung ein. 
: Sie ist anatomisch dadurch gekennzeichnet, daß die Rinde 
und die kurzen Assoziationsfasern unter ihr völlig oder doch relativ 
frei bleiben, das tiefe Hemisphärenlager dagegen einer oft ganz 
exzessiven Atrophie verfällt. Dementsprechend hat der Krankheits- 
prozeß einen umschriebenen, auf bestimmte Gebiete be- 
schränkten, herdartigen Charakter. In klinischer Be- 
ziehung sind es gewisse schwere Herders cheinungen, die das 
Bild von Anfang an beherrschen und mehr oder minder rasch an 
Schwere zunehmen; dazu kommt auf geistigem Gebiet eine e1gen- 
artige partielle Schwäche, die zunächst nur als eine gewisse 
geistige Verarmung bezeichnet werden kann und erst nach 
Jängerem Bestehen der Krankheit den Charakter einer allgemeinen 
Geistesschwäche gewinnt. . | 
; Im einzelnen beginnen diese Fälle präsenil, meist zu Anfang 
der 50er Jahre. Oft gehen längere Zeit nur solche Erscheinungen 
voraus, wie wir sie bei der soeben besprochenen „nervösen “ Form 
kennen gelernt haben. Dann zeigt sich aber, daß die Kranken zu- 
nehmend stumpfer und gleichgültiger werden, das Interesse an ihrer 
Arbeit, an ihrer Umgebung, die geistige Produktivität mehr und mehr 
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