Senile Geistesstörungen. 35
verstehen kann, sie werden immer kleiner, ihre Finger und Arme
immer kürzer, sie fliegen fort; man kommt, sie zu holen, um sie zu
vergiften, in unerhörter Weise zu martern usw. — Dabei besteht
meist kein lebhafter Affekt, sondern eine gemütliche
Stumpfheit. — Sehr häufig sind lebhafte Halluzinationen
des Gehörs und des Gesichts, die besonders des Nachts auf-
treten. Oft verbinden sich diese melancholisch-hypochondrischen
Formen mit persekutorischen Vorstellungen.
Die senil-paranoischen Zustände beginnen allmählich mit Reiz-
barkeit und Verschlossenheit, Mißtrauen gegen die Umgebnng; weiter-
hin werden zahlreiche hypochondrische und Verfolgungs-
ideen ziemlich dürftiger und zusammenhangloser Art geäußert.
Endlich sind noch die akut auftretenden Verwirrtheitszustände
zu erwähnen, die von FÜRSTNER als senile Form des halluzina-
torischen Irreseins, von KrRAEPELIN als deliriöse Erkran-
kungen des Greisenalters (von SALGö als akute senile
Demenz) beschrieben worden sind.
Der Ausbruch erfolgt meist, nachdem bis dahin nur allgemeine
Erscheinungen des senilen Rückganges bestanden haben, akut, viel-
Tach im Anschluß an eımen ap oplektischen Anfall, eine körper-
liche Erkrankung (Magen-Darmaffektion, Bronchialkatarrh, In-
fluenza usw. und dadurch bedingte Ernährungs- und Schlafstörung),
einen operativen Eingriff (Kataraktextraktion), ein Trauma.
Die Krankheit kennzeichnet sich durch starke Bewußtseins-
trübung, Inkohärenz, Verlust der Orientierung und
Verkennung der Umgebung, lebhafte Sinnestäuschungen
meist schreckhaften Inhaltes, große motorische Unruhe.
Im weiteren Verlauf kommt es zu plötzlichen Nachlässen,
nach denen die Erregung und Verwirrtheit meist aber wieder ein-
setzt. Vielfach fährt der Kräfteverbrauch zu Kollaps und Tod.
In anderen Fällen tritt Beruhigung und der frühere Zustand ein,
‚endlich gehen manche Fälle in einen Zustand weinerlich ängst-
licher Schwäche über.
Pathologische Anatomie.
Von makroskopischen Befunden kommen im wesentlichen in Betracht am
Gehirn und seinen Häuten: Verwachsungen zwischen Dura und Schädel-
dach, Schlaffheit und Faltung der Dura besonders über dem Stirnhirn, Hydro-
cephalus externus. Trübung und Verdickung der weichen Häute,
die zuweilen mit der Hirnoberfläche verwachsen sind. Allgemeine, im Stirnhirn-
gebiet aber besonders ausgesprochene Atrophie des Gehirns und Gewichts-
verlust, der den Mantelteil weit stärker betrifft als das Kleinhirn und den Stamm,
Die Windungen sind verschmälert, die Furchen zum Teil klaffend;
die weiße Substanz ist atrophisch. Ferner bestehen Dilatation un dHydropsder
Ventrikel, Verdickung, nicht selten auch Granulierung des Ventrikel-
ependyms, endlich Thrombosen und Embolien mit konsekutiven Erweichungen.
Im Rückenmark Abnahme des Durchmessers und des Gewichtes. Ver-
dickung der weichen Häute und Kinlagerung von Knochenplättchen, Ver-
mehrung der Spinalflüssigkeit. . . . T
Mikroskopisch finden sich in den Fällen einfacher, nicht mit Arteriosklerose
komplizierter Dementia senilis diffuse Veränderungen vorzugsw61S6 der
Hirnrinde; aber auch das übrige Zentralnervensystem ist meist in Mitleidenschaft
gezogen. Die Ganglienzellen der Hirnrinde und zwar auch die normalerweise
pigmentfreien sind stark pigmentiert und zeigen Er krankungen meist
chronischer Art, ohne aber in ihrer Anordnung gestört zu sein, So daß die
Rindenarchitektonik erhalten bleibt. Die Nervenfasern sind meist
wenig geschädigt, am meisten die T'angentialfasern, abgesehen von den Fällen
mit Herden besonders schwerer Erkrankung, die dann zu ausgedehntem Faserausfall
führen kann. An der Glia finden sich Entartungs- und Wucherungsvor-
Lehrbuch der Psychiatrie. III. Aufl.
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