R. WOLLENBERG,
Krankheitsformen.
Bei syphilitisch Infizierten können sich verschiedenartige ner-
yvöse und psychische Störungen einstellen, ohne daß dafür die
Infektion als solche ätiologisch verantwortlich zu machen wäre. So
wird die bloße Tatsache der stattgehabten Infektion nicht selten die
Quelle gemütlicher Erregungen, die an und für sich als physiologisch
gelten, bei entsprechender Disposition aber der Ausgangspunkt tieferer
Verstimmungen und krankhafter, insbesondere hypochondrischer Vor-
stellungen werden können. Zweifelhaft ist der Zusammenhang
mit der Syphilis auch in den Fällen, in denen diese infolge eines
durch sie bedingten allgemeinen Schwächezustandes die
Grundlage psychisch-nervöser Krankeitserscheinungen wird; immerhin
wäre hier an die Möglichkeit einer direkten Einwirkung des Syphilis-
giftes auf die Hirnrinde zu denken. Es handelt sich dabei um neu-
rasthenische Zustandsbilder meist mit hypochondrischer
Färbung (Syphilisneurasthenie und -hypochondrie). Ge-
wisse Beziehungen zwischen Syphilis und Hysterie zeigen sich
einerseits darin, daß sich hysterische Züge den erwähnten Fällen von
Syphilisneurasthenie häufig beimengen, und daß andererseits durch
die hinzutretende Syphilis akute mächtige Ausbrüche einer schon
vorher bestehenden Hysterie bewirkt werden (JoLLyY). Im letzteren
Falle dürfte aber wiederum das in der Ansteckung gegebene psychische
Moment die Hauptrolle spielen.
Was die eigentlichen, durch Syphilis bedingten
Geistesstörungen betrifft, so gibt es keine einheitliche
Syphilispsychose. Die verschiedenartigen hierher gehörigen
Krankheitsbilder werden vielfach eingeleitet durch Störungen mehr
allgemeiner, an Neurasthenie erinnernder Art, die aber doch durch
gewisse Anzeichen auf eine tiefgreifende geistige Schädigung und
ein organisches Hirnleiden hinweisen.
Von den in Betracht kommenden Formen sind relativ häufig und
in neuerer Zeit genauer erforscht gewisse geistige Schwäche-
zustände, die vielfache klinische Beziehungen zur Dementia para-
Iytica haben. Diese Fälle entsprechen im wesentlichen der post-
syphilitischen Demenz (BIısswAnGER); sie sind neuerdings von
KRAEPELIN als syphilitische Pseudoparalyse zusammengefaßt
worden.
Nach den erwähnten Prodromen zeigen sich deutliche geistige
Ausfallserscheinungen (Störungen der Auffassung, der Aufmerksam-
keit, der Merkfähigkeit; die Kranken sind zerstreut, ermüden leicht,
sınd zeitweise unklar), wobei aber die Urteilsfähigkeit zu-
nächst verhältnismäßig wenig betroffen zu sein pflegt.
Auch sonst macht sich hier vielfach eine ungleichmäßige Be-
teiligung der einzelnen seelischen Leistungen geltend; bald
ist vorzugsweise die Auffassung geschädigt, bald überwiegt die Merk-
schwäche, bald die gemütliche Abstumpfung. Sehr oft beurteilen die
Kranken ihren Zustand ziemlich richtig, nehmen auch noch Anteil an
den Vorgängen in ihrer Umgebung und bewahren lange eine gute
äußere Haltung. Wahnvorstellungen bilden keine regelmäßige Er-
scheinung, treten aber öfters als Verfolgungs-, Größen- oder hypo-
chondrische Ideen auf. In manchen Fällen kommt es zu kürzer oder
länger dauernden Erregungszuständen manischer Art mit
Rededrang, Ideenflucht und Größenideen. Auch deliriöse Zu-
Zustände mit Personenvyerkennung und lebhaften Sinnestäuschungen
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