Geistesstörungen bei Gehirnsyphilis. 1
der Hirnrinde erfolgt erst sekundär in deutlicher Abhängigkeit
von der Pialerkrankung, von außen nach innen an Intensität ab-
nehmend. Wenn die Erkrankung auf das Nervengewebe übergegriffen
hat, findet man auch hier eine Infiltration der Lymphscheiden mit
massenhaften Lymphocyten, aber nur spärliche und nicht immer
deutlich als solche charakterisierte Plasmazellen. An den Stellen
stärkster Infiltration geht das Nervengewebe zugrunde, die der
Pia benachbarten Teile des Hirngewebes gehen in einer gleichmäßigen
Infiltration auf, die Grenzen zwischen Pia und Nervengewebe :ver-
wischen sich völlig. — Oft werden die vorstehend skizzierten anato-
mischen Bilder dadurch kompliziert, daß in der meningitischen Pia
oder sonst irgendwo im Hirngewebe größere Gummiknoten auftreten
oder daß infolge von Gefäßerkrankung Thrombosen und Erweichungen
entstehen. Die Endarteriitis luetica kann, wenn sie ausschließlich
oder ganz überwiegend die kleinen Rindengefäße betrifft, nicht nur
in klinischer, sondern auch in anatomischer Beziehung zu differen-
tialdiagnostischen Schwierigkeiten gegenüber der
Dementia paralytica führen. Als besondere Unterschei-
dungsmerkmale kommen unter anderem in Betracht: die viel
hochgradigere Wucherung der Gefäßzellen, die schließlich eine völlige
Verwischung der Grenzen der Gefäßhäute herbeiführt, wie wir das bei
der Paralyse nicht sehen — das Fehlen einer Infiltration der
Lymphscheiden — die ungleichmäßige Verteilung und Intensität
der Veränderungen — die größere Neigung zu kleineren und größeren
Erweichungsherden im ganzen zentralen Nervensystem (ALZHEIMER).
Diagnose.
Die Diagnose muß von der Feststellung ausgehen, ob das Syphilis-
gift noch im Körper vorhanden ist. Zu diesem Zwecke ist die
serologische Untersuchung des Blutes und der Spinal-
flüssigkeit vorzunehmen. Diese ergibt bei der Lues cerebri
Komplementablenkung im Blute, dagegen meist nicht
in der Spinalflüssigkeit. Nur der positive Ausfall der
WAssERMANNSCchen Reaktion ist beweisend. Hiermit ist indessen
die syphilitische Natur einer bestehenden Geistes-
störung noch keineswegs sichergestellt. Bei dem Fehlen
eines bestimmten Typus der syphilitischen Psychose kann diese auch
aus dem klinischen Bilde nicht unmittelbar erschlossen werden.
Immerhin kann die Art, die Gruppierung und der oft vorhandene
flüchtige Charakter der körperlich-nervösen Störungen, in geringerem
Grade auch der eigenartige geistige Defekt es sehr wahrscheinlich
machen, daß eine syphilitische Psychose vorliegt. Dazu kommen in
manchen Fällen noch sonstige körperliche Zeichen der syphi-
litischen Erkrankung, wie Hautnarben, Drüsenschwellungen, Knochen-
auftreibungen, Veränderungen an den Augen usw., bei kongenitaler
Syphilis insbesondere noch die sogenannte HurTcHmNsoxsche Trias
(interstitielle Keratitis, plötzlich im jugendlichen Alter entstandene
Taubheit und Kerbung der oberen mittleren Schneidezähne). Trotz
allem bleibt es aber sehr oft bei einer mehr oder weniger gut be-
gründeten Wahrscheinlichkeitsdiagnose, und Sicherheit wird
vielfach erst durch den glänzenden Erfolg einer antisyphilitischen Be-
handlung gewonnen. 5
Die Differentialdiagnose ist besonders gegenüber der
Dementia paralytica und gewissen Fällen von arteriosklero-
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