5. Kapitel. Das System Fichte's.
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mein Leib durch Speise, welche die Erde mir gewährt, muß eben
so nothwendig im Begriffe des Selbstbewußtseyns liegen, als die
gegenseitige rechtliche Beschränkung, die Ehe, das Eigenthum;
denn woher sollte ich sonst das alles wissen, da ich von außen
sa überhaupt keine Vorstellung erhalte, und bei dem Nichtbestehen
der Dinge keine erhalten kann?*) Diese Aufgabe, die sich im
Systeme Fichte's gar nicht abweisen läßt, hat die größte Ver
wunderung erregt und durch ihren Widerstreit gegen alles ge
wöhnliche Denken, und gewiß auch gegen den wirklichen Bestand
der Sache, die Verbreitung desselben gehindert. Allein so lächerlich
die Unternehmung erscheint und so unausführbar sie sich für
den Unverblendeten kund giebt, so enthält sie doch die Wahrheit,
daß der Stoff der Dinge und ihre verständige Begränzung, die
ethischen Regeln und die Verhältnisse, für welche sie da sind, nicht
von einander getrennt werden können, keines ohne das andere
Bestand hat, und sie auch nur das Produkt eines Aktes sind.
Der Irrthum ist nur der, diesen Akt für den des menschlichen
Bewußtseyns zu halten. Aber nicht bloß die äußern Objekte,
sondern die Denkformen selbst leitet Fichte a priori ab. Wäh
rend Kant die Kategorien als vorgefunden nur in eine Tafel
*) Hierin allein kann auch nach jenen Voraussetzungen das Kriterium
der Realität liegen. Wenn wir Vorstellungen wirklicher Gegenstände (Pferde,
Löwen) von phantastischen (Drachen, Gnomen) dadurch unterscheiden, daß
erstere in der Außenwelt existiren, letztere nur in unseren Vorstellungen, so
kann bei Fichte der Unterschied nicht hierin liegen, weil er ja alles nur in
der Vorstellung existiren läßt, sondern nach ihm ist der Unterschied der, daß
erstere nach dem Gesetze des Selbstbewußtseyns, also in nothwendiger Weise,
letztere außerhalb dieses Gesetzes in willkürlichen Vorstellungsalten vorge
stellt werden. Die weitere Frage, wie es kommt, daß ich mir unter diesen
Gegenständen, die nach Nothwendigkeit den Umkreis unseres Vorstellens
überhaupt bilden, auch wieder in jedem Zeitmoment mit Nothwendigkeit
gerade die vorstelle, von denen das empirische Bewußtseyn sagt, daß ste
mich gerade jetzt umgeben (z.B. das Haus, die Straße, in der ich wohne,
die Menschen, die eben über die Straße gehen), diese Frage, auf die gleich
falls sein System unabweisbar führt, wirft sich Fichte nicht einmal auf.