Full text: Geschichte der Rechtsphilosophie (1)

5. Kapitel. Das System Fichte's. 
223 
mein Leib durch Speise, welche die Erde mir gewährt, muß eben 
so nothwendig im Begriffe des Selbstbewußtseyns liegen, als die 
gegenseitige rechtliche Beschränkung, die Ehe, das Eigenthum; 
denn woher sollte ich sonst das alles wissen, da ich von außen 
sa überhaupt keine Vorstellung erhalte, und bei dem Nichtbestehen 
der Dinge keine erhalten kann?*) Diese Aufgabe, die sich im 
Systeme Fichte's gar nicht abweisen läßt, hat die größte Ver 
wunderung erregt und durch ihren Widerstreit gegen alles ge 
wöhnliche Denken, und gewiß auch gegen den wirklichen Bestand 
der Sache, die Verbreitung desselben gehindert. Allein so lächerlich 
die Unternehmung erscheint und so unausführbar sie sich für 
den Unverblendeten kund giebt, so enthält sie doch die Wahrheit, 
daß der Stoff der Dinge und ihre verständige Begränzung, die 
ethischen Regeln und die Verhältnisse, für welche sie da sind, nicht 
von einander getrennt werden können, keines ohne das andere 
Bestand hat, und sie auch nur das Produkt eines Aktes sind. 
Der Irrthum ist nur der, diesen Akt für den des menschlichen 
Bewußtseyns zu halten. Aber nicht bloß die äußern Objekte, 
sondern die Denkformen selbst leitet Fichte a priori ab. Wäh 
rend Kant die Kategorien als vorgefunden nur in eine Tafel 
*) Hierin allein kann auch nach jenen Voraussetzungen das Kriterium 
der Realität liegen. Wenn wir Vorstellungen wirklicher Gegenstände (Pferde, 
Löwen) von phantastischen (Drachen, Gnomen) dadurch unterscheiden, daß 
erstere in der Außenwelt existiren, letztere nur in unseren Vorstellungen, so 
kann bei Fichte der Unterschied nicht hierin liegen, weil er ja alles nur in 
der Vorstellung existiren läßt, sondern nach ihm ist der Unterschied der, daß 
erstere nach dem Gesetze des Selbstbewußtseyns, also in nothwendiger Weise, 
letztere außerhalb dieses Gesetzes in willkürlichen Vorstellungsalten vorge 
stellt werden. Die weitere Frage, wie es kommt, daß ich mir unter diesen 
Gegenständen, die nach Nothwendigkeit den Umkreis unseres Vorstellens 
überhaupt bilden, auch wieder in jedem Zeitmoment mit Nothwendigkeit 
gerade die vorstelle, von denen das empirische Bewußtseyn sagt, daß ste 
mich gerade jetzt umgeben (z.B. das Haus, die Straße, in der ich wohne, 
die Menschen, die eben über die Straße gehen), diese Frage, auf die gleich 
falls sein System unabweisbar führt, wirft sich Fichte nicht einmal auf.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.