Full text: Dialogform und Argument

B. Auswahl und Rangfolge (543c4-545c 7) 
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men,?*7 und weil unersättliches Streben — und Streben nach Gü- 
tern, deren Besitz den Menschen nicht wirklich zufriedenstellen 
kann, kann nur unersättlich sein — etwas ist, was dem Glück ge- 
radezu entgegensteht und es verhindert. 
Somit wird auch unmittelbar einsichtig, weshalb die vier Dar- 
stellungen nur negativ ausfallen können. Im Kontext einer Pro- 
treptik zur Gerechtigkeit müssen die Alternativen zur Gerechtig- 
keit unattraktiv erscheinen. Daß die Lebensweisen des timokrati- 
schen, oligarchischen, demokratischen und tyrannischen Menschen 
als falsch und. verfehlt dargestellt werden, bedarf nicht der Erklä- 
rung mit politischen Antipathien des Autors, sondern ergibt sich 
schon aus dem Gesprächsziel. Die Frage kann nur lauten, weshalb 
in der ‘Politeia’ Arten-des ungerechten Lebens mit gängigen politi- 
schen Namen korreliert werden; daß diese Korrelation besteht, 
zeigt sich. schon dort, wo die vier politischen Adjektive ‚eingeführt 
werden (544 e7-545b1).2% Mit dem Hinweis auf das Gedankenex- 
periment ist ein wichtiger Grund für die Korrelation von Seelen- 
ordnung. und politischer Ordnung bereits. zur Sprache gekommen; 
ein zweiter Grund liegt wohl.in der Methode des, Anälogieschlusses 
zwischen Polis und Seele.?*®? - . 
Die Korrelation der vier Lebensziele mit den vier politischen 
Systemen ist suggestiv, aber keineswegs zwingend oder reali- 
stisch. „Es leuchtet wohl ein, daß Krieger nach Ruhm, Oligarchen 
nach Geld; Demokraten nach ‚Freiheit und Tyrannen nach Macht 
und Befriedigung aller Triebe streben,’?% aber in der empirischen 
Realität richtet sich das Streben des politischen Machthabers we- 
247 Den Zusammenhang zwischen dem Wohl des Einzelnen und dem Wohler- 
gehen der Gemeinschaft betont schon Solon (Frg.4, 26-29, ed. West). Daß der 
Zusammenhang zwischen dem eigenen Glück und dem Glück’ anderer Menschen 
auch für den modernen Menschen einsichtig bleibt, zeigt Stemmer [1988] 538. 
248 Vgl. unten S.197f.; ferner den Kommentar z.St. m 
249 71 diesen beiden Gründen unten S. 201-205. U 
250 Vgl. einerseits Arist.Pol.1294a 10-11, wo doetf, Reichtum und Freiheit 
als 8001 von Aristokratie, Oligarchie und Demokratie erscheinen, andererseits 
Arist.Rh. 1366 a 4-6, wo es heißt, das Ziel der Demokratie sei Freiheit, das der 
Oligarchie Reichtum, das der Aristokratie Erziehung und Gesetzmäßigkeit und 
das der Tyrannis Selbstschutz (Eotı 8 Öönuoxoatiag W&v TEAOG ElevBepla, 
ÖALyapXiag SE mA0UtTOG, ApLOTOXDATIAG SE TA NEL NAaLdElAV XAl TA, VÖLLUC; 
LUQAVViSOG SE yularyı). Die Abweichungen zeigen, daß Aristoteles nicht ein- 
Fach das platonische Schema übernimmt.
	        
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